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Biodiversitätsstrategie: Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit

Seit 2007 hat Deutschland eine Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt (NBS), mit der sich das damalige Bundeskabinett einhellig das Ziel setzte, den stetigen Verlust der Artenvielfalt und Ökosysteme bis 2020 aufzuhalten. Sogar internationale Anerkennung ob ihrer „zukunftsorientierten Visionen" und konkreten Ziele bekam man dafür. Viel bewirken konnte sie allerdings nicht, betrachtet man den jüngsten Indikatorenbericht zur Umsetzung der NBS.

Kein Wunder. "Im Tagesgeschäft der meisten Bundesministerien spielen weder das Thema Biodiversität noch die Ziele der NBS eine signifikante Rolle", ergab eine politikwissenschaftliche Analyse von Dr. Norman Laws an der Leuphana Universität Lüneburg im Auftrag des WWF von 2014. Mit dem Thema betraute Mitarbeiter und Gremien erführen zu wenig Unterstützung in der Führungsebene der Häuser. Außerdem fehle es oft an Personal und Wissen. Was ist die Nationale Biodiversitätsstrategie also wert? Wo hakt es bei der Umsetzung ressortübergreifender Ziele in der politische Praxis? Ein Blick hinter die Kulissen der Bundesministerien.

Die Nationale Biodiversitätsstrategie wurde ausgearbeitet, um die internationalen Ziele der UN-Biodiversitätsstrategie CBD auf die bundespolitische Ebene zu übertragen. 330 Zielen und rund 430 Maßnahmen im Zeitraum bis zum Jahr 2020 wurden formuliert. Ein riesiger Katalog. Doch erreicht werden am Ende wohl nur die wenigsten, wie der Indikatorenbericht 2014, der die Umsetzung der NBS evaluiert, vermuten lässt.

Viel zu langsam gehen die Fortschritte, wie etwa das Beispiel der Bodenversiegelung zeigt. Seit 2000 ist diese zwar von 129 Hektar auf 74 Hektar pro Tag in 2012 gesunken, bis 2020 jedoch noch die Zielmarke von 30 Hektar pro Tag zu erreichen, erscheint utopisch. „Landwirtschaftsflächen mit hohem Naturwert", wie etwa extensiv genutztes Grünland oder Streuobstwiesen, sind seit 2009 sogar auf 11,9 Prozent zurückgegangen. 19 Prozent sollten im kommenden Jahr eigentlich erreicht sein. Schuld daran sind nicht zuletzt biodiversitätsschädliche Subventionen, die bis 2020 ebenfalls beseitigt werden sollen.

„Insgesamt lässt sich bei fast allen Fraktionen ein sehr geringer Stellenwert von Biodiversitätspolitik in der Themenkonkurrenz feststellen", schreibt Dr. Norman Laws vom Institut für Nachhaltigkeitssteuerung an der Leuphana Universität Lüneburg in seiner Studie "Politische Vorfahrt für biologische Vielfalt", die er im Auftrag des WWF Deutschland im Januar 2014 veröffentlichte. Dazu führte der Politologe 31 Interviews mit Biodiversitätsfragen betrauten Mitarbeitern von 11 Bundesministerien zwischen 2009 und 2013 durch.

Die Biodiversitätsziele der NBS spielten entsprechend im administrativen Tagesgeschäft der meisten Ministerien auch eine eher geringe Rolle. Als Probleme wurde ein zu geringes Verständnis für die Relevanz des Themas in den oberen Hierarchieebenen genannt. Entsprechend sei auch in vielen Fällen zu wenig ausreichend ausgebildetes Personal vorhanden und es würde kaum in Weiterbildungen investiert.

„Ich halte den 'Druck von oben' für eines der wesentlichen Elemente, um in den Ministerien etwas zu bewegen", meint Laws im NeFo-Interview. Deshalb empfiehlt er in der Studie, das Bundeskanzleramt mehr in die Verantwortung zu ziehen.
Zuerst einmal müsse es vor allem in der extra für die Integration der NBS-Ziele gegründeten Interministeriellen Arbeitsgruppe (IMA NBS) aktiv werden, denn dies ist bisher noch nicht der Fall. Eine entsprechend geringe Bedeutung und Koordinierungsleistung maßen der Gruppe auch eine Vielzahl der befragten Ministerienmitarbeiter bei.

Ein Problem sei in einigen Ministerien aber auch die Strategie selbst. So seien die Ziele oft nicht kompatibel mit den Alltagsfragen der verschiedenen Ressorts und deshalb schwer anwendbar. Die große Fülle an Zielen und Maßnahmen mache dies nicht einfacher.

"Wir müssen Biodiversitätswissen in Geschichten verpacken, die die zuständigen Beamten in ihrer täglichen Arbeit abholen", meint Laws. Auf das richtige Storytelling käme es an. Die Mitarbeiter müssten in den Zielen der Biodiversitätsstrategie Anknüpfungspunkte zu ihren Themen finden. Nur dann käme eine Sensibilisierung zustande.

Um die Ziele der NBS zu erreichen, müsse die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der Biodiversität ein schlagendes Argument, ein 'Machtfaktor' werden. Zielkonflikte zwischen Flächennutzungs-, Energie- und Wirtschaftspolitik und der Biodiversitätspolitik dürfen nicht zulasten der natürlichen Ressourcen entschieden werden", stellt Laws fest.

Eine reine Informationspolitik reiche nicht aus, um die erforderlichen Verhaltensänderung in der Bevölkerung zu erreichen, so die Studie weiter. Vielmehr bedürfe es „intelligenten Mixes von Politikinstrumenten" der ordnungsrechtliche auch marktwirtschaftliche Wege einschließe.

Durch die mangelnde Integration des Politikfeldes Biologische Vielfalt in die Bundespolitik sei es kaum zu vermeiden, dass die bis 2020 gesteckten Ziele der NBS verfehlt würden. Der, weitere Verlust der biologischen Vielfalt in Deutschland, in Europa und weltweit — mit den sich immer stärker abzeichnenden Folgen für das menschliche Wohlergehen — könne so nicht aufgehalten werden, schließt die Studie.

Den ausführlichen Artikel und das Interview mit Dr. Norman Laws lesen Sie auf der Webseite Öffnet externen Link in neuem Fensterwww.biodiversity.de

Die WWF-Studie "Politikbarometer zur Biodiversität in Deutschland - Politische Vorfahrt für biologische Vielfalt" finden Sie Öffnet externen Link in neuem Fensterhier

Über Netzwerk-Forum zur Biodiversitätsforschung Deutschland (NEFO)

Netzwerk-Forum zur Biodiversitätsforschung Deutschland (NEFO) ist eine Kommunikationsplattform für Wissenschaftler und Anwender von Wissen zur biologischen Vielfalt. Das Projekt wird im Rahmen von DIVERSITAS-Deutschland e.V. durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Ein wichtiges Ziel ist es, die Forschung unterschiedlicher Disziplinen, die sich mit gesellschaftlich relevanten Fragestellungen zur Biodiversität befasst, stärker ins öffentliche Licht zu stellen und mit aktuellen relevanten Politikprozessen zu vernetzen. Hierzu stellen wir direkte Ansprechpartner für Fragen aus Medien, Politik und Öffentlichkeit bereit, arbeiten aktuelle Themen auf und vermitteln Experten. Projektpartner sind das Museum für Naturkunde Berlin und das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ.
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