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Auch Brasiliens drittes Kernkraftwerk steht auf brüchigem Fels

Noch 1989 ging Brasiliens Präsident Lula da Silva zusammen mit seinem heutigen Umweltminister, Carlos Minc, gegen das geplante Atomkraftwerk Angra 3 auf die Straße. Doch nun setzen beide faktisch auf den Ausbau der Atomenergie.

Auch der jüngste Protest Anfang September von einigen Umweltgruppen und Bürgerinitiativen anlässlich des 21. Jahrestages des Atomunfalls von Goiânia — dabei wurden über 6.000 Brasilianer mit medizinischem Nuklearmüll radioaktiv verseucht - hinderte Mincs Umweltbehörde (IBAMA) nicht daran, nun den ersten Bauabschnitt des seit über 20 Jahren umstrittenen, dritten Atomkraftwerks zu genehmigen.

Angra 3 entsteht am selben Ort, wo sich bereits die Kraftwerke Angra 1 und Angra 2 befinden: An der bei Touristen beliebten „Grünen“ Südküste Rio de Janeiros in der Bucht von Angra dos Reis am Strand von Itaorna. Der Name stammt aus der Sprache der Guarani und bedeutet „fauliger Stein“. Tatsächlich empfehlen sich die geologischen Verhältnisse in diesem, von Erdbeben und Erdrutschen gefährdeten Küstengebirge zwischen Rio und São Paulo nicht gerade für „sensible“, Bauwerke noch fuer die Zwischenlagerung von strahlendem Müll.

Angra 3 ist aber „nur“ der Wiedereinstieg in ein noch gigantischeres Atomabenteuer, in dem ein forcierter Uranbergbau und dessen vorangetriebene Privatisierung die Schlüsselstellung einnehmen. Selbst bestehende Indianerreservate drohen dabei dem angekündigten Uranwahn zum Opfer zu fallen. Weltweite Kampagnen der Atomindustrie zum Ausbau der Kernenergie, um damit angeblich den Treibhauseffekt zu bekämpfen, bei gleichzeitiger Verknappung des genauso wie Erdöl endlichen Kernbrennstoffs lassen die Preise für Uranerz und Uranoxid (Yellowcake) und die Spekulationen in die Höhe schnellen.

Vergangenen Juni sagte der Präsident der brasilianischen Atomenergievereinigung, Associação Brasileira de Energia Nuclear (Aben), Francisco Rondinelli, dass sich mit den bereits prospektierten Uranlagerstätten von insgesamt 310.000 Tonnen Uranerz in Brasilien 25 Atomkraftwerke 60 Jahre lang betreiben ließen. Dabei sind erst nur etwa 25 Prozent des brasilianischen Territoriums auf Vorkommen des radioaktiven Minerals untersucht worden. Rondinelli schätzt, dass Brasilien der weltweit zweitgrößte Uranproduzent werden könnte, man müsse nur die vor etwa 20 Jahren eingestellte Uransuche wieder aufnehmen. Und um Prospektion und Ausbeutung voranzubringen plädiert er für die „Flexibilisierung“, sprich das Aufbrechen des staatlichen Atommonopols.

Im Nordostbundesstaat Ceará wird dies bereits 2009 der Fall sein. Dann soll Brasiliens erste Uranmine mit privater Beteiligung seinen Betrieb aufnehmen. Bislang holt Brasilien seinen Kernbrennstoff lediglich aus den Minen von Lagoa Real und Caetité in Bahia: Jährlich 400 Tonnen Yellowcake. Die Verdoppelung der Produktion ab 2012 auf 800 Tonnen ist schon beschlossene Sache. Die dadurch entstehenden Umweltschäden, die radioaktive Verseuchung von Boden, Luft und Grundwasser, die Gefahren für die lokale kleinbäuerliche Bevölkerung und deren Nahrungsmittelanbau indes scheinen dabei keine Rolle zu spielen. Atom-Politiker und Massenmedien rücken die Schaffung einer Handvoll Arbeitsplätze in den Vordergrund und verschweigen die - in vielen Fällen - leider tödlichen Strahlenrisiken.

So auch im neuen, noch größeren Uranbergbaugebiet Itataia bei Santa Quitéria in Ceará. Hier will das staatliche Nuklearunternehmen INB (Indústrias Nucleares do Brasil) im kommenden Jahr zusammen mit der Firma Galvani jährlich 1.600 Tonnen Yellowcake sowie rund 240.000 Tonnen Phosphat herausholen. Ein doppelt lohnendes Geschäft, denn Brasiliens Agrobusiness und die Biotreibstoffbranche sind hungrig nach Phosphatdünger. Und bislang muss Brasilien 75 Prozent seines Kunstdüngers importieren.

Santa Quitéria wird aber nicht die letzte strahlende Mine sein. Brasiliens Atomlobby vermutet nämlich die größten Uranvorkommen in Amazonien. So sollen in den Lagerstätten Rio Cristalino (Gebiet der ehemaligen VW-Rinderfarm) im Bundesstaat Pará und Pitinga im Bundesstaat Amazonien zusammen wenigstens 300.000 Tonnen Uranoxid schlummern. Laut unbestätigten Gerüchten zufolge, so aktuell das Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL) in Berlin, befinde sich aber das größte Uranvorkommen der Welt im Bundesstaat Roraima, ausgerechnet in dem zur Demarkation ausgewiesenen Indianerreservat Raposa Serra do Sol.

Tatsächlich strahlten brasilianische Fernsehsender vor wenigen Monaten einen — auch bei Youtube im Internet zu sehenden — vor mehreren Jahren aufgenommen Bericht mit dem in Brasilien berühmten Ethnologen Orlando Villas Boas aus. Der vor sechs Jahren verstorbene Ethnologe spricht darin über das Reservat der Yanomami-Indianer in Roraima und dass dort die größten noch ungehobenen Uranreserven der Welt lägen. Laut Villas Boas würde die Regierung der USA die Yanomami manipulieren, um an diese Uranvorkommen heranzukommen, sprich den Brasilianern wegzunehmen.

Tatsächlich ist die US-Regierung George Bush seit einiger Zeit nicht nur Erdöl- sondern auch Uranhungrig. Seit Anfang des Jahres will sie im eigenen Land umstrittene neue Uranminen gegen den Protest der Navajos anderer betroffener Indigener durchsetzen.

Die Navajo Nation werde alle möglichen Schritte unternehmen, um jegliche Uranbausbeutung in oder nahe seines Territoriums zu verhindern, warnte Navajo Nation Präsident Joe Shirley, Jr. vergangenen März in einem an Bush gerichteten Schreiben. „Es ist für mich gewissenlos, wenn die Bundesregierung die Erlaubnis für die Wiederaufnahme des Uranbergbaus nahe der Navajo Nation in Betracht zieht, während wir weiterhin unter den Folgen der früheren Uranminen leiden“, so Navajo-Präsident Shirley. „Wir wollen nicht, dass eine neue Generation von Kindern mit Missbildungen auf die Welt kommt.“ Die Navajo Nation werde nicht erlauben, „dass seine Bevölkerung mit Krebs und anderen durch Radioaktivität ausgelöste Erkrankungen leben muss, während gesichtslose Firmen die Profite einstreichen.“ Während des Kalten Krieges beutete die US-Regierung rücksichtslos die Uranvorkommen des Navajo-Reservats sowie in seiner Umgebung für ihr Atomwaffenprogramm aus. Weite Teile des Gebiets sowie Grundwasservorkommen wurden radioaktiv verseucht, und Navajo-Arbeiter ohne ausreichenden Strahlenschutz und uninformiert in die Minen geschickt. Präsident Sherley: "Das Vermächtnis des Uranbergbaus zerstört weiterhin Menschen und Land. Die Minenarbeiter, ihre Familien und ihre Nachbarn leiden unter erhöhten Krebsraten und anderen Strahlenkrankheiten.“
Die Folgen des strahlenden Bergbaus im trockenen Nordostbrasilien sind fuer die betroffenen Bevölkerungsgruppen mit Sicherheit kaum weniger gravierend wie für die Navajo. Egal ob staatlich oder privatisiert, egal ob mit oder ohne USA. Uranbergbau ist eine ökologische und soziale Katastrophe für die betroffenen Regionen. Und dies wird auch für die möglichen Uranminen im süßwasserreichen Amazonien gelten.

Norbert Suchanek, Rio de Janeiro

Norbert Suchanek
Journalist und Autor
Internet: www.norbertsuchanek.org
E-Mail: norbert.suchanek(at)online.de