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Carsharing boomt und feiert Jubiläum

Vor 25 Jahren hat sich StattAuto Berlin gegründet — der erste Carsharing-Anbieter Deutschlands. Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) nahm das zum Anlass, das Jubiläum des Autoteilens zu begehen. Momentan boomen die Angebote wie nie zuvor. Anfang 2013 nutzten 453.000 Menschen in ganz Deutschland Carsharing, fast eine Verdoppelung binnen eines Jahres. Aber ist Carsharing wirklich gut für die Umwelt, oder nutzen dadurch einfach noch mehr Menschen Autos?

Die Frage schien früher einfach zu beantworten sein, als Faustregel galt, dass ein Carsharing-Auto elf private PKW ersetzt, sagt Gerd Lottsiepen, Verkehrspolitischer Sprecher des VCD. Früher gab es aber auch nur das klassische Carsharing an festen Ausleihpunkten. „Beim stationsgebundenen Carsharing gibt es Studien, die belegen, dass es oft zu einer Abschaffung des PKW kommt“, sagt Friederike Hülsmann, die am Öko-Institut das Thema erforscht.

Allerdings vervielfachen sich momentan die Nutzer der neuen Angebote von überall in den Städten verfügbaren Autos. Dazu kommt, dass viele Nutzer beide Arten des Carsharings kombinieren — also die günstigeren Wagen an Ausleihstationen mieten, aber auch die überall verfügbaren. Allein 2012 wuchs die Nutzerzahl von flexiblem Carsharing von 37.000 auf 183.000, in diesem Jahr liegen noch keine Zahlen vor, aber allein der Anbieter Drive-Now konnte seine Kundenzahl mehr als verdoppeln und hat mittlerweile 185.000 Nutzer.

„Beim flexiblen Carsharing gibt es noch keine wissenschaftliche Aussage darüber, ob der PKW-Besitz dadurch zurückgeht“, sagt Hülsmann. Ausschlaggebend dafür sei generell das Mobilitätsverhalten der Nutzer. Mehrere noch nicht abgeschlossene Studien untersuchen die Frage, ob das Carsharing zu einer umweltfreundlicheren Mobilität führt. Das Öko-Institut untersucht die Frage beispielsweise gemeinsam mit dem Institut für sozial-ökologische Forschung in einem Opens external link in new window3,5 Jahre dauernden Projekt.

Carsharer nutzen mehr ÖPNV

Opens external link in new windowErste Untersuchungen gibt es aus einer der Pionierstätten des flexiblen Carsharings Ulm. Demnach reduziert sich der PKW-Besitz von Nutzern des dort breit erprobten Carsharing-Systems um 4,7 bis 11,4 Prozent, langfristig liegt das Potenzial nach Umfragen bei 19,2 Prozent — und erreicht damit fast die Werte von klassischem Carsharing an festen Stationen. Laut einer Studie der European Business School (EBS) haben 23,5 Prozent der Nutzer von flexiblem Carsharing zumindest den Fahrzeugbestand in ihrem Haushalt reduziert.

Die Zahl stammt aus dem jüngsten Opens external link in new windowCarsharing-Barometer der EBS, für das 1.200 Nutzer von flexiblen Angeboten befragt wurden. Sie nutzen Carsharing demnach häufiger als die von stationsbasierenden Anbietern, „dafür aber in deutlich kürzeren Nutzungszeitspannen“, heißt es und: die wichtigste Motivation sind niedrige Preise, gefolgt von einer einfachen Nutzung — die geringe Umweltbelastung liegt erst an dritter Stelle.

Das Ökoinstitut errechnete aus Umfragen in Berlin, dass Carsharer, hauptsächlich die von flexiblen Angeboten, im Vergleich zu normalen PKW-Nutzern doppelt so häufig das Fahrrad benutzen, beim öffentlichen Nahverkehr führen die Carsharer dagegen nur knapp.

Hülsmann sieht jenseits der Zahlen im Carsharing vor allem eine echte Chance zu einem neuen Mobilitätsverhalten. Studien ergeben, dass die tägliche PKW-Nutzung von Menschen zwischen 20 und 29 Jahren zwischen 1996 und 2008 um 15 Prozent gesunken ist — allerdings nutzen sie den PKW häufiger, wenn sie älter werden. Das könnte sich ändern, hofft Hülsmann.

„Wenn die 20 bis 30-jährigen lernen, dass sie ohne eigenes Fahrzeug so mobil sein können wie mit und sich schon in jungen Jahren daran gewöhnen, dann kann man mit Carsharing viel erreichen“, sagt sie. Lottsiepen drückt es emotionaler aus: „Millionen Deutsche können mit Carsharing glücklicher werden“, sagt er und zählt auf: kein TÜV, kein Waschen, kein Reifenwechsel, keine teuren Reparaturen.

Dass das Auto als Statussymbol unwichtiger wird, das haben mittlerweile auch die großen Automobilkonzerne erkannt. „Wir stehen mitten in einem fundamentalen Wertewandel. Viele junge Menschen haben ein verändertes Verhältnis zum Auto“, Opens external link in new windowsagte VW-Chef Martin Winterkorn bei der Eröffnung der Internationalen Automobilausstellung IAA in Frankfurt am Main in diesem Jahr. Carsharing ist vor allem dann für die Umwelt sinnvoll, sagt Hülsmann, wenn es mit öffentlichem Nahverkehr optimal verbunden wird und diesen ergänzt.

Der optimale Online-Dienst

Die komplementäre Mobilität ist auch Thema einer Studie, die der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) bei Inga Werbeck und Christoph Aberle, zwei Teilnehmern seiner Opens external link in new windowJugendkonferenz „Contemporary Carlowitz“ in Zusammenarbeit mit der Bertelsmann Stiftung, in Auftrag gegeben hat.

Die Autoren untersuchten die online-Plattformen moovel.de, bahn.de, flinc.de, switchh.de und mitfahrgelegenheit.de und befragten Mobilitätsexperten. Ziel war es unter anderem, zu evaluieren, wie die Bündelung verschiedener Mobilitätsdienstleister zu einem bundesweit einheitlichen Online-Dienst für Smartphones aussehen müsste, um möglichst viele Personen zu animieren, häufiger den Öffentlichen Personenverkehr zu nutzen.

Als größtes Hindernis sahen die befragten Experten die Gewohnheiten der privaten PKW-Besitzer. Außerdem würden die verschiedenen Anbieter Notwendigkeit und Chancen eines gemeinsamen Online-Dienstes verkennen. Die Autoren sprechen auch mögliche Rebound-Effekte an: „Ebenso denkbar ist es, dass im Stadtverkehr ÖPNV-Fahrten durch Carsharing-Fahrten ersetzt werden, was dem Ziel der Umweltverträglichkeit entgegenwirken würde“, schreiben sie.

Dass in derartigen Angeboten eine echte Chance liegt, sehen offenbar auch Union und SPD. „Zukunftsweisende Projekte an der Schnittstelle ÖPNV/Carsharing/Fahrrad werden wir weiter fördern“, heißt es im Koalitionsvertrag der Parteien. Fußgänger werden allerdings nicht explizit benannt. Für eine nachhaltige Mobilität für alle Bevölkerungsgruppen müssten deren Bedürfnisse jedoch Grundlage jedes verkehrspolitischen Handelns sein.

Quelle: „Rat für Nachhaltige Entwicklung“, www.nachhaltigkeitsrat.de