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Aquakulturen auf dem Prüfstand

Nach einem Hoch im Jahr 2003 ist die Zuchtgarnelenproduktion Brasiliens von rund 90.000 Tonnen auf etwa 65.000 Tonnen im vergangenen Jahr eingebrochen. Dennoch sollen weiterhin neue, große umweltschädliche Aquakultur-Projekte im Nordosten Brasiliens entstehen, wie zum Beispiel die in der Pufferzone des Abrolhos-Meeresnationalpark im Süden Bahias auf einer Fläche von 1,517 Hektar geplante, größte Garnelenzuchtanlage Brasiliens. Vor kurzem hatte nun die Welternährungskommission (FAO) die globale Garnelenzuchtbranche und vor allem die lateinamerikanischen Staaten zu einem Expertentreffen über Aquakultur-Zertifizierung - Expert Workshop on Guidelines for Aquaculture Certification, 31. Juli — 3. August 2007, Fortaleza - in die Hauptstadt des nordostbrasilianischen Bundesstaates Ceará eingeladen.

Interview mit René Schärer, Gründer des Instituts Terramar und Teilnehmer des FAO-Workshops in Fortaleza über Garnelenzucht und Zertifizierungsbemühungen in Brasilien.

Der Schweizer René Schärer war dreißig Jahre lang Geschäftsführer der Swissair in verschiedenen Ländern darunter Brasilien. 1992 kehrte er nach Brasilien zurück und startete ein Entwicklungsprojekt für die nachhaltige Fischerei im Fischerdorf Prainha do Canto Verde und gründete 1993 außerdem das Instituto Terramar, eine unabhängige für die Interessen der traditionellen Fischer und Küstenbewohner eintretende Organisation mit Sitz in Fortaleza. Heute ist Schärer Mitglied der Nationalen Management Gruppe für die Langustenfischerei Brasiliens.

Herr Schärer: In dieser Woche trifft sich die FAO in Fortaleza. Was genau geschieht bei diesem „Workshop“?

Der Workshop der FAO in Fortaleza gehört zu einer Serie von Konsultationen mit allen, die ein Interesse an der Aquakultur (nicht nur Garnelen-Zucht) haben und die auf die Erarbeitung eines Dokumentes über nachhaltige Aquakultur analog zum FAO „Code of Conduct for responsible Fischeries“ Einfluss nehmen wollen. Dieser Workshop soll auch Richtlinien für die Zertifizierung von Aquakultur-Produkten erarbeiten. In Anbetracht der riesigen Probleme mit der Lachszucht in Chile oder mit der Garnelenzucht in den anderen Staaten Lateinamerikas von Brasilien bis Mexiko ist das eine große Aufgabe.

Zu diesem Workshop sind nicht nur Shrimps- und Lachszüchter eingeladen, sondern auch Nichtregierungsorganisationen (NRO) und die betroffene Bevölkerung. Was ist ihre Aufgabe persönlich in Fortaleza?

Ich bin in der Organisation und der Finanzierung der Teilnahme der Nichtregierungs-Vertreter engagiert. Der Konsultationsprozess ist zwar besser, transparenter, weil nun nicht nur Spezialisten, Unternehmer und Regierungsvertreter eingeladen wurden. Vertreter der Bevölkerung und NROs müssen aber ihre Reise selbst berappen. Überrascht waren wir auch, dass keine Simultanübersetzung auf Portugiesisch oder Spanisch vorgesehen war. Und nur nach verschiedenen Reklamationen beim zuständigen Ministerium in Brasilia sowie bei der FAO in Rom hat man wenigstens die Simultanübersetzung (von der offiziellen Workshop-Sprache Englisch) auf Spanisch zugesagt, allerdings nur für die Plenarsitzungen, aber nicht für die Gruppenarbeiten. Dadurch sind die Teilnehmer aus Lateinamerika benachteiligt — also kann man den Prozess nur als „fast demokratisch“ beurteilen.

Die meisten Zuchtgarnelen aus Brasilien werden in Ceará und Rio Grande do Norte produziert. Was sind die Probleme der Garnelenzucht in Ceará und in den anderen Nordoststaaten, die ja hauptsächlich zum Export vor allem in die EU geschieht?

Ich bin selber kein Spezialist in Aquakultur, dafür haben wir vom Instituto Terramar und von der Universität Ceará sehr gute Leute, welche die Interessen der Umwelt und der betroffenen Bevölkerungen auf dem Workshop vertreten werden. Doch die Folgen der Garnelenzucht und die Praktiken der Garnelenzuchtfirmen hier in Ceará und Rio Grande do Norte kenne ich beispielsweise durch meine Arbeit für Terramar: Vergehen gegen die Umweltgesetze (eine Studie einer parlamentarischen Kommission kam zum Schluss, dass mehr als die Hälfte der Unternehmer die gesetzlichen Vorschriften nicht erfüllen); Kontaminierung der Küstengewässer; Verbreitung von Viren- und anderen Krankheiten, welche die Umwelt gefährden; Versalzung des Grundwassers; Menschenrechtsverletzungen und Todesdrohungen...

Auch Mord?

In Brasilien wurden mehrere Einheimische, Anwohner von Garnelenfarmen umgebracht, aber die Justiz mahlt langsam. Sicher werden unsere Vertreter alle diese Fälle in Fortaleza auf den Tisch legen.

Was halten die Menschen an der Küste, Fischer und Mangrovenbewohner von der Garnelenzucht?

Wir haben rege und enge Kontakte zu einem großen Teil der fast 100 Dörfer an der 574 Kilometer langen Küste von Ceará. Die Bewohner sind traditionelle Fischer, die von der Fischerei und dem Sammeln von Meeresfrüchten in der Küstenzone und in den Mangroven leben. Sie haben stark unter der aggressiven Förderung der Garnelenzucht gelitten, und ihre Opposition gegen die Garnelenzucht ist deshalb groß.

Nachdem die Regierung Brasiliens der Garnelenzuchtexpansion seit über zehn Jahren nicht nur zugesehen , sondern auch subventioniert hat, beispielsweise mit Vorzugskrediten und günstigen Wasser- und Strompreisen. Was erhoffen Sie sich von der Regierung in Zukunft?

Die Regierung Brasilien muss sich darum bemühen, von den Unternehmern zu verlangen, dass die Gesetze respektiert werden! Es gibt Leute im Fischereiministerium, die diese Probleme erkannt haben. Die Frage ist, ob sie sich gegen die Lobby der Garnelenzüchter durchsetzen werden.

Hier im Staat Ceará ist es noch üblich, dass die vermögende Klasse sich als Besitzer des Staates aufführt und sich kaum um den Schutz des Vermögens der Bevölkerung kümmert, sie befehlen und zerstören, sei es um an der Garnelenzucht, der Fischerei, am Tourismus oder an anderen Geschäften — egal was - zu verdienen.

Kann die von der FAO gemeinsam mit dem WWF und auch der Weltbank angestrebte, mehr oder weniger ökologische oder soziale Zertifizierung der Aquakulturen die Folgen der Garnelenzucht im Nordostbrasilien lindern?

Mehr noch als Zertifizierung braucht gerade Brasilien genaue Gesetze und strenge Kontrolle, um die illegalen Unternehmer zu stoppen. Obschon bereits heute verschiedene freiwillige Zertifizierungsprogramme bestehen, haben sich von über 400 Aquakultur-Unternehmern in Brasilien nur vier um eine Zertifizierung bemüht. Solange die europäischen Konsumenten die Garnelen kaufen, ohne Fragen zu stellen, müssen sich die Produzenten hier nicht allzu sehr bemühen.

Kann man wirklich nachhaltige Garnelenzucht betreiben — ohne Mangrovenabholzung, ohne Einsatz von Antibiotika und Fischmehl aus der Gammelfischerei, ohne Wasserverschmutzung?

In Florida gibt es eine Garnelenzucht, die nach Angaben des Leiters des zum Schutz der Mangroven weltweit gegründeten Mangrove Action Project (MAP), Alfredo Quarto, diesem Ziel sehr nahe kommt. Wie schon gesagt, hier in Brasilien gibt es nur vier Farmen mit einer Zertifizierung, und sie sind aber immer noch in den roten Zahlen. Gegner und Befürworter müssen sich darum bemühen diese „Better Practices“ zu identifizieren und als Beispiel, „Benchmark“, vorzeigen.

Warum werden in Brasilien überhaupt Garnelen gezüchtet? Gibt es keine natürlichen Garnelen mehr zu fischen?

Die Garnelenzucht geschieht natürlich vor allem für den Export. Aber die Wildgarnelen sind ja auch überfischt und dann kommt noch das Problem der Schleppnetze und des Beifangs dieser industriellen Fischerei hinzu. Obschon die US-Amerikaner hie und da nach Brasilien kommen, um zu kontrollieren, ob die Garnelenkutter hier auch die Schildkrötenschutzvorrichtung TED (Turtle Escape Devices) einsetzen, geben sich die industriellen Fischerei-Unternehmer hier keine große Mühe, ihre Fischerei zu verändern. Die Schleppnetzfischerei sollte deshalb das nächste Ziel der Umweltschützer werden. Hier in Brasilien gibt es auch nachhaltige Alternativen: die traditionelle Fischerei, die die Garnelen mit speziellen Netzen fängt, ohne den Meeresboden zu zerstören und praktisch ohne Beifang - oder der Beifang wird von den Fischer als Nahrungsmittel verwertet.

Herr Schärer, Danke für das Gespräch.

Norbert Suchanek, Fortaleza/Rio de Janeiro,

segunda-feira, 30 de julho de 2007


Norbert Suchanek

Journalist und Autor
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E-Mail: norbert.suchanek@online.de