Sie befinden sich hier:
Startseite->Artikel->Autoexperten: Industrie könnte viel klimafreundlichere Pkw bauen

Autoexperten: Industrie könnte viel klimafreundlichere Pkw bauen

Japanische Autobauer entwickeln weiterhin die meisten „sauberen“ Pkw-Modelle. Das lässt sich der Mitte August vom Verkehrsclub Deutschland (VCD) veröffentlichten Auto-Umweltliste 2010/2011 entnehmen. Unter den zehn umwelt- und klimafreundlichsten Automodellen stammen demnach sieben von japanischen und nur zwei von deutschen Herstellern.

Aufgeholt haben die deutschen Autobauer aber in der ebenfalls ermittelten Kategorie der Pkw mit dem geringsten CO2-Ausstoß: Diese Liste führen Volkswagen und Daimler mit Kleinwagen an, die rund 85 Gramm CO2 je hundert Kilometer emittieren. Renommierte Autoexperten sehen das Ende der Fahnenstange damit aber noch nicht erreicht. Sie halten erheblich geringere Emissionen für machbar — wenn die Politik den entsprechenden Rahmen setzt.

Doch dies sei keineswegs abgemacht, sagt Gert Lottsiepen, verkehrspolitischer Sprecher des VCD. Druck auf die Regierung übten vor allem die politischen Interessenvertreter der Autoindustrie aus. Die Autolobby, so Lottsiepen,  setze alles daran, die „für 2020 von der Europäischen Union vorgesehenen CO2-Grenzwerte zu zersägen“, was im Erfolgsfall die Klimaschutzziele der Bundesregierung gefährde. Nach dem Willen der Europäischen Kommission darf der durchschnittliche CO2-Ausstoß von Neuwagen 2020 höchsten 95 Gramm betragen. Bis 2015 muss er laut VCD auf 137 Gramm sinken — eine nach Ansicht Lottsiepens „viel zu schwache“ Vorgabe. Dabei sei eine weitere Reduktion längst machbar. Die VCD-Umweltliste führt 19 Modelle an, die mit heutiger Technik weniger als 100 Gramm CO2 je Kilometer ausstoßen.

Strengere CO2-Grenzwerte kann sich auch der Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer vorstellen, Leiter des Center Automotive Research an der Universität Duisburg-Essen. Bundeskanzlerin Angela Merkel, sagt er, sei gegenüber der Autolobby bislang „zu kompromissfreudig gewesen“. Die deutschen Autobauer hätten bei entsprechendem politischen Druck höhere CO2-Vorgaben erfüllen können. Lobbyarbeit gehöre zu ihrem Geschäft, so der Professor für Betriebswirtschaftslehre und Automobilwirtschaft. Sie seien bei „Öko-Techniken gut aufgestellt“. Alle deutschen Hersteller hätten mit der Serienfertigung deutlich verbrauchsärmerer Drei-Zylinder-Pkw begonnen und Fortschritte könnten sie auch beim Hybrid-Antrieb und Öko-Techniken wie der Start-Stopp-Automatik vorweisen.

Udo Becker, Inhaber des Lehrstuhls für Verkehrsökologie an der Technischen Universität Dresden, ist kritischer. Technisch, sagt er, könnten die deutschen Hersteller schon lange deutlich klimafreundlichere Autos bauen, aber: „Die von den Konzernvorständen vorgegebene Marschrichtung für die Entwicklungsabteilungen lautet ‚stärker, schwerer, schneller’“, so der Wirtschaftsingenieur. Mitverantwortlich dafür sei die Politik: Die besonders gewinnträchtigen Oberklasse-Pkw mit hohem CO2-Ausstoß würden nahezu komplett an Unternehmen verkauft, die die Kosten für ihre Firmenwagen steuerlich geltend machen könnten. Anreize für den Kauf sparsamerer Pkw fehlten dadurch. „Hersteller dicker Autos profitieren von diesen Fehlanreizen“, sagt Becker, „die Steuerzahler finanzieren sie“.

Kurzfristig hätten die deutschen Autokonzerne mit dieser Strategie zwar „prächtig verdient“,  sagt das Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des VCD. Langfristig wirke sie  aber „verheerend“, denn zukunftsfähig seien kleinere, leichte Fahrzeuge, und nicht schwere Karossen. Mercedes, VW, Opel und Co. müssen sich nach Meinung Beckers dem Wettbewerb in diesem Marktmsegment stellen. Aufgabe der Politik sei, dafür die richtigen Anreize zu setzen — notfalls sogar durch eine Verbannung von Autos mit zu hohem CO2-Ausstoß aus deutschen Innenstädten. Autoexperte Dudenhöffer plädiert dagegen für eine Erhöhung der Spritpreise bei gleichzeitiger Abschaffung der Kfz-Steuer. Das sei nicht nur gerecht, weil zahle, wer fahre. „Die Anreize für den Kauf eines möglichst effizienten Pkw“, sagt er, „würden dadurch auch deutlich größer als heute“ — worauf die Hersteller dann reagieren müssten.