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„Koalition der Willigen für Bestäuber“: Erster Bericht des Weltbiodiversitätsrates IPBES zeigt Wirkung auf internationale Politik

Noch bevor die Vertragsstaatenkonferenz der UN-Biodiversitätskonvention CBD offiziell über die Annahme des im Februar veröffentlichten ersten Bericht des Weltbiodiversitätsrates zur Bedeutung der Bestäuber verhandelt, gibt es schon einen außergewöhnlichen Fortschritt — für die Bestäuber und für IPBES: Unter Leitung der Niederlande haben einige Staaten, darunter auch Deutschland, die „Koalition der Willigen“ gegründet.

Diese versprechen, den Schutz der Bestäuber und deren Lebensräume durch nationale Strategien zu fördern, die sich an den Empfehlungen des IPBES-Berichts orientieren. Dieser fasst den aktuellen Stand des Wissens zur Bedeutung, Bedrohung und zum Schutz von Bestäubern zusammen und zeigt anhand von Zahlen: Bestäubung ist eine essenzielle Leistung der Natur für das Wohlergehen und die Gesundheit der Menschen, die jedoch zunehmend bedroht ist, u. a. durch immer raumgreifendere Landnutzung ohne Lebensraum für Wildinsekten und Bienen, sowie durch Insektizide und Krankheiten. Entsprechend empfehlen die wissenschaftlichen Autoren u. a. die politische Förderung kleiner, strukturreicherer Landnutzungsformen.

"Weltweit sind fast 90 Prozent der bekannten Wildpflanzenarten zumindest teilweise auf den Transport von Pollen durch Bestäuber angewiesen.“ So beginnt der Weltbiodiversitätsrat IPBES (Intergovernmental Platform for Biodiversity and Ecosystem Services) seine Zusammenfassung für Politiker (SPM) seines allerersten Berichtes. Diese Zahl allein zeigt schon, welche Bedeutung die Symbiose zwischen Bestäubertierarten und der Pflanzenwelt hat. Doch auch unser Wohlergehen hängt in ähnlich hohem Maße von der Leistung vornehmlich der Insekten ab: Über drei Viertel der weltweit meist genutzten Nahrungspflanzen profitieren von Bestäubung. Fünf bis acht Prozent der aktuellen globalen Ernte hängt direkt von Tierbestäubung ab, was einem Wert von 235 bis 577 Milliarden US-Dollar entspricht. Dabei zeigen aktuelle Untersuchungen, dass dies nicht allein von domestizierten Honigbienen geleistet werden kann. Wildbienen bspw. bestäuben manche Pflanzen wesentlich effizienter und ergänzen die Leistung der Honigbiene, was sich auch in den Erträgen bemerkbar macht, meint Mitautorin  Prof. Alexandra Klein von der Universität Freiburg. 20.000 Wildbienenarten gibt es weltweit. Dazu kommen Schmetterlinge und Fliegen, aber auch Fledermäuse als Bestäuber.
80 Prozent der Insekten seien seit Ende der 1980er-Jahre aus der Nordrhein-Westphälischen Kulturlandschaft verschwunden, veröffentlichte im Sommer der Öffnet externen Link in neuem FensterEntomologischen Vereins Krefeld. Besonders die intensive Landwirtschaft macht den Bestäubern zu schaffen. So tragen in Europa flächenbezogene Agrarsubventionen zur maximalen Nutzung der verfügbaren Flächen bei, auf Kosten wertvoller Lebensräume wie Blühstreifen, Hecken und Grünland, das wildlebenden Arten als Lebensraum dient. Hochwirksame Insektizide wie die viel kritisierten und zum Teil verbotenen Neonicotinoide führen zum starken Rückgang der Populationen. Deren so genannten subletalen Folgen (Tod erst nach mehrmaliger Aufnahme des Giftes unter der direkt tödlichen Dosis) sind schon länger bekannt, jedoch erst jüngst auch im Feld nachgewiesen worden.
64 Expertinnen und Experten aus der ganzen Welt haben das aktuelle Wissen zu einem weiten Feld von Fragen zur Bestäubung zusammengetragen und einen umfangreichen Katalog politischer Handlungsmöglichkeiten erstellt. Erst vor wenigen Tagen hatten sich einige der Autoren, darunter der Berichtsleiter Simon Potts, in einem Artikel in Science an die CBD-Vertragsstaatenkonferenz in Mexiko gewendet und die Empfehlungen des IPBES-Berichtest auf zehn Möglichkeiten reduziert, wie Regierungen dem Verlust der Bestäuber begegnen können:

  1. Die Regelungen zum Einsatz von Pestiziden verschärfen
  2. Ökologische Intensivierung, also eine Landwirtschaft, die die ökologischen Prozesse maximal nutzt statt sie zu bekämpfen
  3. Einbeziehung indirekter und subletaler Effekte in die Risikoprüfungen von genveränderten Pflanzen
  4. Handel und Verbreitungswege von Bienen für eine Bekämpfung der Krankheitsverbreitung besser kontrollieren
  5. Landwirte für bestäuberfreundliche Methoden belohnen
  6. Bestäubung als Argument für Landwirtschaftsformen nutzen, die möglichst viele Ökosystemleistungen nutzen und unterstützen
  7. Vielfältige Landschaftsstrukturen und Nutzungsvielfalt unterstützen, etwa erhöhte Fruchtfolge, größere Vielfalt von Agrarfrüchten, Intercropping, Agroforstsysteme etc.
  8. Einen Habitatverbund (Grüne Infrastruktur) schaffen, der die Verbreitung der Arten ermöglicht
  9. Ein Langzeit-Monitoring für Bestäuber und Bestäubung etablieren
  10. Partizipatorische Forschung zur Verbesserung bestäuberfreundlicher Landwirtschaftsformen finanzieren

Die “Koalition der Willigen” möchte vorangehen, die gängige Landwirtschaftspolitik und das Verhältnis der Gesellschaften zur Natur im Sinne der CBD-Ziele und der UN-Nachhaltigkeitsziele zu verändern, heißt es auf deren Öffnet externen Link in neuem FensterWebseite. Ob sie alle Mitgliedstaaten mitziehen können, wird sich in den kommenden Verhandlungen zeigen. Da soll die CBD die Aussagen und Empfehlungen des IPBES-Bestäuberbericht anerkennen und seine Politikempfehlungen übernehmen. Dafür muss allerdings Konsens bestehen, was theoretisch kein Problem sein sollte, da die Mitgliedstaaten bei CBD und IPBES fast identisch sind und der Bericht bereits gutgeheißen wurde. Bei solch sensiblen und lobbyrelevanten Themen wie Agrarpolitik ist jedoch nichts sicher, gerade wenn es um die seit Beginn der CBD geforderten Abschaffung so genannter „perverser Subventionen“ geht. Der „große Wurf“ ist jedenfalls kaum zu erwarten. „Meistens ist eine beharrliche Politik der kleinen Schritte nötig, für die wir viel Geduld brauchen“, meint die deutsche Delegationsleiterin vom Bundesumweltministerium Öffnet externen Link in neuem FensterDr. Elsa Nickel im NeFo-Interview.
Um solche Verhandlungen zu erleichtern, hatten die ranghöchsten Staatenvertreter, u. a. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks, im Vorfeld der eigentlichen Vertragsstaatenkonferenz die sog. Cancún-Erklärung unterzeichnet, die die Staaten darauf einschwört, die Öffnet externen Link in neuem FensterSchutzziele der CBD in die betreffenden Politiksektoren wie Land-, Forst-, Fischerei-, und Tourismuswirtschaft zu integrieren. IPBES, das von den Vereinten Nationen gegründet worden war, um eine wissenschaftlich fundierte und von allen Parteien anerkannte Argumentationsgrundlage in globalen Umweltpolitikprozessen zu liefern, fand darin überraschenderweise keine Erwähnung. „Umso spannender ist es zu sehen, dass Vorstöße wie diese Koalition der Willigen schon stattfinden, bevor das Bestäuber-Thema überhaupt offiziell auf die Agenda gehoben wurde“, meint Dr. Axel Paulsch vom Institut für Biodiversität (ibn), der die Konferenz vor Ort beobachtet. Das zeige, dass der Weltbiodiversitätsrat IPBES zunehmend Strahlkraft auf die CBD entwickle.
Weitere Informationen zum Thema:
Öffnet externen Link in neuem FensterWebseite der "Koalition der Willigen"
Öffnet externen Link in neuem FensterZusammenfassende Broschüre des BMBF zu den Ergebnissen des IPBES-Bestäuberberichts
Öffnet externen Link in neuem FensterFaktenblatt Bestäubung
Öffnet externen Link in neuem FensterInterview mit Dr. Elsa Nickel, BMUB
Öffnet externen Link in neuem FensterBlog zur COP13

Über NeFo

Netzwerk-Forum (NeFo) zur Biodiversitätsforschung Deutschland. Projekt zur inter- und transdisziplinären Vernetzung und Sichtbarmachung der Biodiversitätsforschung in Deutschland über Institutionsgrenzen hinweg. Es wird gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung BMBF und maßgeblich durchgeführt durch das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung Leipzig — UFZ sowie das Museum für Naturkunde Berlin (Leibniz-Gemeinschaft).