"Da vorne ist einer". Aufgeregt dreht sich der 12 jährige Tobias zu seinen Eltern um und deutet gleichzeitig mit seiner rechten Hand in die Weiten des Pazifischen Ozeans. Fasziniert beobachtet er, wie in knapp 100 Meter Entfernung eine Wasserfontäne aus dem Blasloch eines der sanftmütigen Riesen der Meere schießt. Tobias kommt aus München und macht mit seinen Eltern gerade Urlaub in Neuseeland. Der Anblick eines Wales war das "coolste Erlebnis" seines Lebens, berichtet er voller Freude.
Tobias hat gerade einen von geschätzten 2000 Buckelwalen gesehen, die jährlich von der Antarktis zur Fortpflanzung nach Tonga und Neukaledonien schwimmen. Weltweit gibt es noch ungefähr 15.000 Exemplare dieser bedrohten Tierart. Michael McIntyre, Vorsitzender der Asien-Pazifik Region vom International Fund for Animal Welfare (IFAW) geht davon aus, dass trotz des Schutzabkommens von 1986 seither insgesamt 24.000 Wale getötet wurden.
Wenn es nach den Plänen der japanischen Regierung geht, wird die Zahl der lebenden Wale in den kommenden Jahren weiter sinken. Seit 1986 gibt es zwar ein internationales Moratorium gegen das Abschlachten von Walen. Insbesondere Japan, wo Walfleisch als ausgesprochene Delikatesse gilt, aber auch Island und Norwegen umgehen es jedoch. Zur wissenschaftlichen Forschung, so die offizielle Begründung, gestattet Japan beispielsweise die Tötung von jährlich 400 Minkwalen. Wenn es nach dem Willen der Regierung in Tokyo geht, soll die Zahl auf über 800 Tiere jährlich angehoben werden. Zuzüglich solle die Tötung von Buckel- und Finnwalen erlaubt werden. Diese Pläne wird Japan bei der Tagung des IWC, der internationalen Walfangkommision, vortragen. Die Mitglieder treffen sich ab dem 20. Juni in Südkorea. Die Chancen der asiatischen Wirtschaftsmacht stehen gut. Kritiker beobachten seit längerem, dass Japan im Gegenzug für geleistete Entwicklungshilfe die Unterstützungen für den Walfang bei Schwellenländern einfordert.
Die neuseeländische Bevölkerung ist entsetzt. Die grosse Mehrheit der knapp vier Millionen Einwohner ist sehr naturverbunden. Entscheidungen pro Umwelt und Natur werden oft auch gegen wirtschaftliche Interessen aufrechterhalten. Dementsprechend wird von allen Seiten Druck auf die Regierung ausgeübt. Doch der ist gar nicht nötig. Die regierende Labour Partei hat den Wert der Wale für die neuseeländische Wirtschaft bereits erkannt. Das Gebiet um Kaikoura ist eine der besten Gegenden auf der Welt, um einen Wal aus nächster Nähe zu bestaunen. Touristen strömen in Scharen in die kleine Stadt an der Ostküste der Südinsel. Insgesamt 425.000 Touristen und Einheimische haben im Jahr 2004 an einer Wal- oder Delphinbeobachtungstour teilgenommen. Das ist ein Zuwachs von knapp 85 Prozent in sechs Jahren. Im Jahr 1998 lag die Zahl noch bei 230.000 Teilnehmern. Der Jahresumsatz in diesem Industriezweig lag im Jahr 2004 bei 84 Millionen US Dollar. Bei solchen Zahlen verwundert es nicht, dass Neuseeland weltweit eine der treibenden Kräfte gegen das Vorhaben Japans ist.
Allein der wirtschaftliche Wert der Riesen der Meere treibt sie an dafür zu sorgen, dass auch die Kinder von Tobias eines Tages Wale in Neuseeland beobachten können.
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