Für Bischof Dom LuÃs Flávio Cappio, dessen Hungerstreik gegen die so genannten Transposição des São Francisco Oktober 2005 international Schlagzeilen machte, bedeutet die rücksichtlose Umsetzung des Projekts mit Hilfe des Heeres ein Rückfall in die Zeit der Militärdiktatur. In einem Interview mit der Zeitung "O Tempo" klassifiziert Bischof Cappio die Teilumleitung als eine „Aggression gegen die Umwelt, die Volkswirtschaft und gegen die brasilianischen Bürger“. Das Projekt sei ein Umweltfrevel, weil es einen bereits - unter den Staudämmen von Sobradinho und Itaparica, städtischen Abwässern, Abholzung und Bodenerosion - leidenden Fluss das Wasser entzieht. Und es ist eine ökonomische Fehlplanung, weil es erheblich kostengünstigere Alternativen zur Verbesserung der Trinkwasserversorgung im Nordosten Brasiliens gebe, wie zum Beispiel den Bau von Zisternen.
Insgesamt werde das Tausende von Tonnen Zement benötigende, aus Kanaelen, Pumpstationen und mehreren Staedaemmen bestehende „Pharaonendenkmal“ der Regierung Lula in den nächsten Jahren über zwei Milliarden Euro verschlingen — bei nach Fertigstellung jährlichen Betriebskosten von geschätzten 30 Millionen Euro. Hauptprofiteure des „lügnerischen und ungerechten Projektes“, so der brasilianische Soziologe Ruben Siqueira: die extrem Wasser verbrauchende Stahlindustrie Fortalezas, die exportorientierte Fruchtanbau- und die Garnelenzuchtbranche in den Mangrovengebieten sowie die Zucker- und Ethanolbarone des Nordostens. Schon 2005 frohlockte der Präsident des Industrieverbandes der Zucker- und Alkoholproduzenten von Pernambuco, Renato Cunha, die Transposição werde seinem Verband eine deutliche Ausweitung des Zuckerrohranbaus um bis zu 130.000 Hektar in Pernambuco und Bahia ermöglichen. Es gelte den neuen nationalen und internationalen Absatzmarkt für Bioalkohol als Treibstoff sowie als Rohstoff für die Biodieselherstellung aus Soja-, Palm-, und Rhizinusöl zu decken. Renato Cunha: „Jeglicher Biodiesel benötigt zur Herstellung Ethanol, um das Glyzerin zu entfernen.“
Bereits vor 12 Jahren, 1995, so der Forscher João Suassuna von der Fundação Joaquim Nabuco hätten Wissenschaftler vor der Teilumleitung des im Volksmund “Alten Cico“ genannten Flusses gewarnt. Seitdem hätten renomierte Forscher wie der Geograph und emeritierte Professor Aziz Ab'Sáber von der Universität São Paulo auf Konferenzen, in Studien und Artikeln auf die negativen ökologischen wie sozialen Folgen des obendrein für die Volkswirtschaft ökonomisch sinnlosen Projekts hingewiesen. Auch das Komitee der Bacia Hidrográfica do Rio São Francisco (CBHSF) kritisierte früh die Entscheidung für die Transposição. Sie ignoriere andere, viel wichtigere Prioritäten, um die Wasserversorgung im trockenen Nordosten zu verbessern. Das Komitee zeigt sich darüber hinaus ebenso besorgt über den von der Atomlobby in Lulas Regierung geforderten Bau von zwei neuen Kernkraftwerken am Rio São Francisco.
Neben einigen Kleinbauern- und Paechterfamilien, die ihre Haeuser bereits haben raeumen muessen, sind die ersten Hauptbetroffene der Transposição des São Francisco die rund 9000 Tumbalalá- und Truká-Indianer bei Cabrobó. Der Schamane der Truká-Gemeinde von Cabrobó, Antônio Cirilo de Sá, ist zwar desilusioniert, weil alle ihre Proteste und Argumente gegen dass Mammuntprojekt nicht gehört wurden. „Seit dem Bau des Staudammes von Sobradinho leben wir unter größten Schwierigkeiten. Wir verloren unsere fruchtbaren Felder an den Ufern des São Francisco und die Fische im Fluss wurden weniger“ beklagt der Schamane. „Das Absenken des Flusses nun wird noch mehr Hunger bringen, das Fischen und unseren Reisanbau noch weiter erschweren.“ Gegen die vom Militär durchgeführten Bauarbeiten zur Teilumleitung des Alten Cico haben dennoch die Betroffenen sowie projektkritische Bürgerinitiativen Proteste angekündigt.
Inwieweit diese friedlichen Demonstrationen die Abholzungen verhindern und das Mammutprojekt noch stoppen können, ist fraglich. Zumal die großen brasilianischen Massenmedien schon die bisherigen Massenproteste in den Städten am Rio Sao Francisco während der vergangenen Monate faktisch ignoriert haben.
Norbert Suchanek, Rio de Janeiro
segunda-feira, 18 de junho de 2007
Norbert Suchanek
Journalist und Autor
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E-Mail: norbert.suchanek@online.de
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