Zeitsprung: Mato Grosso do Sul, 12. November 2005. Ein Mann, 65 Jahre alt, parkt kurz vor 12 Uhr Mittags seinen VW-Transporter im geschäftigen Stadtzentrum von Campo Grande, lädt zwei Kissen aus und legt sie überkreuz auf den Boden. Dann überschüttet er sie mit Benzin, dem Ethanol beigemischt ist, setzt sich darauf und zündet sich an. Der Mann hieß Francisco Anselmo Gomes de Barros, genannt Francelmo, war Umweltjournalist, Begründer der Umweltbewegung Mato Grosso do Suls und kämpfte ein Viertel Jahrhundert gegen die Ethanolproduktion in seinem Bundesstaat. 1982 hatte er ein Gesetz zum Schutz des größten Feuchtgebiets der Erde, dem Pantanal, durchgefochten und damit den Bau einer der größten Ethanolfabriken Brasiliens im Südosten des Pantanals in der Gemeinde Miranda verhindert. Sein grausamer Feuertod hat seine Ursache eben in diesem Umweltschutzgesetz. Wie es heißt, wollte Francelmo mit seiner Selbstverbrennung ein ultimatives Zeichen setzen, um die von der Ethanol-Lobby geplante Änderung des Umweltschutzgesetzes zu verhindern. Vergeblich! Die Regierung Mato Grosso do Suls schoss im Dezember 2006 Francelmos Gesetz ab und machte damit den Weg frei für die bis dahin größten Ethanolinvestitionen des Landes.
„Die Umweltministerin Marina Silva behauptet immer, die Expansion der landwirtschaftlichen Nutzfläche zur Ethanolproduktion werde auf bereits degradierten Gebieten geschehen“, kritisiert der erfahrene Journalist und Koordinator des Umweltinformationsplattform EcoDebate, Henrique Cortez. „Tatsache aber ist, dass die Agrarfront voranschreitet ohne so genannte degradierte Flächen zu nutzen. Warum? Weil die Wiederherstellung von degradierten Flächen teuer ist und viel Zeit beansprucht.“ Es sei schlichtweg schneller, billiger und einfacher für die Agrarindustrie den Cerrado abzuholzen und die Agrarfront weiter nach Amazonien zu treiben.
Bislang war Bundesstaat São Paulo Landesmeister in der Ethanolproduktion. Doch die Ethanolzukunft liegt nach Meinung von Milliardären wie George Soros in Mato Grosso do Sul. Denn für die Ausweitung des Zuckerrohranbaus verfügt der an Paraguay, Bolivien und Mato Grosso grenzende Bundesstaat, der international aufgrund des größten Süßwasserfeuchtgebiets der Erde, dem Pantanal, bekannt ist, über drei wichtige Faktoren: Billige, relativ fruchtbare und ebene Böden, gute klimatische Bedingungen und ausreichend Wasser. Soros lässt gerade Zuckerrohrmonokulturen auf 150.000 Hektar - in den Distrikten von Angélica und Ivinhema — anpflanzen und der neue Ethanolfabriken bauen. Angestrebte Verarbeitungskapazität: 11 Millionen Tonnen Zuckerrohr pro Jahr. Noch in diesem Jahr soll der erste Soros-Ethanol aus Mato Grosso do Sul fließen und seine Investitionen vergolden.
Insgesamt rechnete 2007 die Regierung des Bundesstaates mit Investitionen von rund zwei Milliarden US-Dollar und einer Ausweitung des Zuckerrohranbaus auf 710.500 Hektar bis 2009 sowie mit wenigstens 31 neuen Ethanolfabriken. Die Zuckerrohrproduktion Mato Grosso do Suls soll nach Meinung der Regierung bis 2012 um 620 Prozent steigen. Ob der Pantanal diesen Ethanolwahn vor seiner Haustür überstehen wird? Offiziell zumindest wollen Lula und sein Landwirtschaftsminister dieses größte Feuchtgebiet Erde nicht dem Biosprit opfern.
„Die Herren des Agrobusiness behaupten, sie wollten Zuckerrohr nur auf degradierten Flächen Mato Grosso du Suls anpflanzen. Aber mit der Perspektive ständig steigender Profite haben sie ihre Ansicht geändert und kämpfen nun um die besten Flächen der Region, die Gebiete der Guarani-Kaiowá“, Egon Heck
Im Schatten des international bekannten Pantanals allerdings vollzieht sich bereits eine andere Tragödie. Betroffen sind diejenigen, die seit jeher in Brasilien keine echte Lobby haben. Die letzten indigenen Völker Mato Grosso du Suls. Laut vorläufiger Statistik des Indianermissionsrats (CIMI) wurden 2007 in ganz Brasilien 76 Indianer umgebracht - über die Hälfte davon, 48, in Mato Grosso do Sul. Eine der Ursachen: Kampf um Land!
„Die Herren des Agrobusiness behaupten, sie wollten Zuckerrohr nur auf degradierten Flächen Mato Grosso du Suls anpflanzen. Aber mit der Perspektive ständig steigender Profite haben sie ihre Ansicht geändert und kämpfen nun um die besten Flächen der Region, die Gebiete der Guarani-Kaiowá“, erläutert Egon Heck, CIMI-Koordinator von Mato Grosso do Sul. “Auf den weniger produktiven Böden kann man 70 bis 80 Tonnen Zuckerrohr je Hektar erzielen, aber auf den Flächen der Guarani-Kaiowá bis zu 120 Tonnen je Hektar.“ Für die Elite des Agrobusiness seien die Guarani-Kaiowá schlichtweg ein unliebsames Hindernis, das es zu beseitigen gelte, so Heck in einem Interview mit Instituto Humanitas Unisinos (IHU), vergangenen November 2007. Grosse multinationale Gruppen kauften strategisch wichtige Flächen auf, um die großen Naturressourcen des Landes wie Wasser zu kontrollieren: Stichwort AquÃfero Guarani.
Unabhängig davon, dass Zuckerrohr ohne ausreichend Wasser nicht anzubauen ist, benötigen auch Ethanolfabriken das kostbare Nass: 3 bis 5 Liter je Liter Alkohol. Gleichzeitig belasten sie die Umwelt im Schnitt mit bis zu 13 Liter Abwasser.
Norbert Suchanek, Rio de Janeiro
Norbert Suchanek
Journalist und Autor
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