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Antibiotika in der Tierhaltung: Bundesrat will Gesetz verschärfen

Der Bundesrat will einen Gesetzentwurf der Bundesregierung verschärfen, der zum Ziel hat, den Verbrauch von Antibiotika in der Tiermast einzudämmen. Der hat sich in den letzten Jahren verdoppelt — ein Grund, warum immer mehr Menschen an resistenten Keimen sterben.

Das grundsätzliche Anliegen trifft auf breite Zustimmung und ist kaum umstritten: Erst im September hatte das Opens external link in new windowBundesverbraucherschutzministerium Zahlen veröffentlicht, nach denen 2011 mit 1734 Tonnen doppelt so viel Antibiotika in Deutschlands Ställen verabreicht worden sind, als noch im Jahr 2005. Viel zu viel, sagen Experten und Politiker. Besonders der Einsatz von Reserveantibiotika der dritten und vierten Generation, die für den Menschen besonders wichtig sind, soll in der Tiermast möglichst eingedämmt werden.

Die Bundesregierung will nach ihrem Gesetzesentwurf vom 19. September vor allem durch schärfere Kontrollen und einem genaueren Monitoring den Verbrauch der Medikamente senken und eine bundesweite Datenbank dazu einrichten. Allerdings hat das geplante Gesetz Kritik ausgelöst: Der Deutsche Bauernverband fürchtet Kosten in dreistelliger Millionenhöhe, verweist auf freiwillige Maßnahmen und zweifelt, dass die Veterinärbehörden überhaupt genug Personal haben, alles umzusetzen. Der Deutsche Tierschutzbund fordert einen kompletten Systemwechsel, hin zu tiergerechter Haltung in kleineren Ställen. Der BUND bemängelt, dass konkrete Reduktionsziele fehlen — anders als in den Niederlande oder Dänemark.

In Deutschland sollen Mastbetriebe den Landesbehörden künftig digital melden, wie oft sie welche Antibiotika einsetzten. Daraus berechnet das Bundesverbraucherschutzministerium halbjährlich eine Therapiehäufigkeit für jede Tierart. Sollte ein Betrieb weit über diesem Wert liegen, muss er ein Programm erarbeiten, wie der Antibiotikaverbrauch gesenkt werden kann. Nach dem Opens external link in new windowWillen des Bundesrates dürfen Veterinärbehörden jetzt weitreichendere Vorgaben dazu machen, zum Beispiel anordnen, dass die Tiere mehr Platz als gesetzlich vorgeschrieben erhalten müssen.

Die Länder bemängeln zudem, dass aus einem schlichen Durchschnittswert ermittelt werden soll, was ein sinnvoller Antibiotikaeinsatz ist. Sie fordern stattdessen eine „wissenschaftlich fundierter Basis“ als Maßstab. Dazu kommt, dass nun auch die verabreichte Dosis an Antibiotika erfasst werden soll, nicht nur die Häufigkeit. Allerdings: Nach Haltungsformen getrennt werden die Daten nicht erfasst. Es bleibt also weiter unklar, wie stark der Antibiotikaverbrauch bei größeren Betrieben wächst. Und: Fischfarmen und Zuchtbetriebe bleiben von der Regel ganz ausgeschlossen. Für BUND-Agrarexpertin Reinhild Benning völlig unverständlich. Die Länder hätten nicht den Mut zu konsequenten Forderungen, sagt sie.

Zudem will der Bundesrat den Einsatz von Reserveantibiotika in der Tiermast strenger kontrollieren. Ein komplettes Verbot einzelner Präparate solle zumindest geprüft werden. Bisher konnten Tierärzte selbst entscheiden, Tieren für Menschen wichtige Antibiotika zu verabreichen.

Auch auf EU-Ebene wird seit längerem darüber diskutiert, wie der Einsatz von Antibiotika verringert werden kann. Im Opens external link in new windowEU-Parlament wird derzeit ein Antrag beraten, der eine europaweite Überwachung von Antibiotika fordert, auch im Bereich der Humanmedizin. Die Standards dazu sollen vereinheitlicht werden. Nach EU-Angaben sterben in der Staatengemeinschaft, Island und Norwegen jedes Jahr 25.000 Menschen an resistenten Keimen.

Für Experten wie Kerstin Müller, Professorin im Fachbereich Veterinärmedizin an der Freien Universität Berlin, ist tiergerechte Haltung ein wichtiges Mittel, um weniger Antibiotika einsetzen zu müssen. „Rinder beispielsweise haben eine ausgeprägte Sozialstruktur. Wenn die Gruppe auseinander gerissen wird, entsteht Stress, die Tiere werden krank“, sagt sie. Das könnte durch relativ einfache Maßnahmen verhindert werden, unabhängig von der Größe eines Betriebes: Laut einer kanadischen Studie wird bei Kälbern von Milchkühen und deren Müttern der Stress umso größer, je länger die Kälber nach der Geburt bei den Müttern verbleiben. Deshalb ist hier eine frühe Trennung der Tiere angezeigt. Noch immer dürfen Tiere in Deutschland bis zum Alter von sechs Wochen mit einem Brenneisen enthornt werden — unnötige Schmerzen, die das Tier anfälliger machten. Ab wann Tiere transportiert werden dürfen, bemisst sich nicht nur nach dem Alter, sondern auch nach dem Gewicht, sagt Müller. Kälber, die sich langsam entwickelten, würden so dem Stress einer Fahrt viel zu früh ausgesetzt. Nur fachgerecht ausgebildetes Personal könne zudem frühzeitig erkennen, wann Krankheiten drohen und so die Tiere rechtzeitig von der Herde isolieren, untersuchen und behandeln lassen. „Auch wie sich Menschen den Tieren gegenüber verhalten ist entscheidend. Streicheln ist gesünder als anbrüllen“, sagt Müller.

Quelle: „Rat für Nachhaltige Entwicklung“, www.nachhaltigkeitsrat.de