Warum soll ich im Jahr 2006 als Bürger meinen Namen unter eine Liste setzen und diese an Politiker schicken mit der Bitte "Keine Atomkraft"? Bin ich ein ein Zwerg, ein Bittsteller? Gehört die Unterschriftenliste nicht in eine Zeit und eine Situation gesellschaftlicher Kommunikation, die es so nicht mehr gibt? Unterschriften sammeln, das machte eine gesellschaftliche Avantgarde, die gegen bornierte Parteien und eine geschlossene Industrielobby kämpfte. Und sie kämpfte vor 25 Jahren mit den richtigen Mitteln, wie wir heute wissen, auf dem Marktplatz mit Unterschriften, am Bauzaun, im Wahllokal.
Heute aber ist das Comeback von Unterschriftenlisten und des gelben "Atomkraft Nein Danke"-Buttons eher problematisch: beim Mainstream könnte nämlich der Eindruck entstehen, dass wieder ein paar Wenige gegen die Mächtigen anrennen. Nichts ist unwahrer. Es gibt politisch immer noch einen Beschluss zum Abschalten. Es gibt seit vielen Jahren eine Umfragemehrheit gegen Atomkraft. Es gibt vorallem auch eine kulturelle gesellschaftliche Hegemonie: "Atom ist uncool" und manche ahnen schon, Atom ist sogar unnötig. Zum Glück gib es nämlich nach 7 Jahren Rot-Grün eine wirtschaftliche und technologische Macht, vertreten durch einen Wirtschaftszweig, der als wichtiger Faktor nicht mehr zu ignorieren ist. Raus aus Atom und Kohle ist kein Wunsch, sondern eine gesellschaftliche und wirtschaftliche Option. Darum sind Atomkraftgegner keine Bittsteller, sondern gesellschaftlicher Mainstream. Warum soll der irgendwo unterschreiben?
Der Masterplan: wir investieren in Erneuerbare, machen uns unabhängig von den Konzernen und reagieren bei jedem Vorstoss in Sachen Atom gelassen! Soweit die Theorie. Ich gebe zu, mit dem Gelassenbleiben ist das so eine Sache. Dafür sind die wirtschaftlichen Machtverhältnisse noch immer zu unfair angesicht eines faktischen Oligopols von vier Stromunternehmen (EnBW, Eon, RWE, Vattenfall), die noch eine Menge Politiker unter Vertrag haben.
Und das ist sachlich und nicht polemisch gemeint. Die Chefs dieser Atom- und Kohlekonzerne glänzen mehr denn je mit fetten Gewinnen und fordern gemäss ihres betriebswirtschaftlichen Kalküls Laufzeitverlängerungen für Atom und "Investitionssicherheiten" für ihre Investitionen in Kohlekraftwerke. Damit meinen sie so etwas wie staatlich garantierte Marktanteile. Und sie werben 20 Jahre nach Tschernobyl wieder offensiv für Atom: in ganzseitigen Anzeigen im Spiegel beispielsweise umgarnen sie die Jugend. Kernkraftwerke sind sicher, verkünden sie peppig, und unterschreiben mit Ihrem guten Namen. Das ist neu: die vier Atomkonzerne treten tatsächlich als Vierergang auf und verbleiben mit freundlichen Grüssen: Vattenfall, Eon, RWE und EnBW.
Der Witz ist natürlich, dass viele Atomkraftgegner diese Proatom-Werbung bezahlen, denn sie sind ja Kunden. Dieser Teil der Kundschaft unterschreibt vielleicht wieder Unterschriftenlisten, aber interessiert sich nicht besonders für die Firma, die ihr den Strom in die Steckdose pumpt. Die Umweltbewegung hat hier erstaunlich wenig erreicht in ihrem eigenen Verantwortungsbereich, bei der Mobilisierung eben jener Konsumentenmacht, die den Atomausstieg per Konsumententscheidung zementieren könnte. Deshalb ist jetzt "name and shame angesagt". Ich sage nur: Chrissy, Berthold, Bettina - um mal einige atomkritische Bekannte zu outen, die Atomstrom kaufen.
Es ist nicht zu fassen: ein Volk von Atomskeptikern kauft im Jahr 2006 immer noch beinahe geschlossen bei Atomkonzernen. Da sassen wir in Bad Godesberg, 20 Jahre nach Tschernobyl, und sammelten neue Ideen für die Energiewende. Zum Spass machte einer den beliebten Stromwechselcheck. Auch die Bewegten beim Tschernobyl-Kongress verbraten also nach meiner Hochrechnung immer noch zu 30% den Strom eines Atomunternehmens, dessen Politik sie doch für gefährlich und falsch halten. Sehr merkwürdig. Doch woran liegt es? Sind Atomenergiegegner dumm wie Brot?
Könnte man meinen, ist aber natürlich nicht so. Eher schon ist hier kommunikativ etwas gründlich schief gelaufen. Es ist bei vielen nicht angekommen, dass es 20 Jahre nach Tschernobyl nur eine wichtige Unterschrift gibt, die garantiert den eigenen Ausstieg bedeutet. Das ist die Unterschrift unter die Kündigung bei den Konzernen Eon, Vattenfall, EnBW und RWE und deren Töchtern, zum Beispiel Yello. Und es ist leider auch nicht angekommen, dass diese Kündigung ein elegantes politisches Instrument der Konsumentenmacht ist, also auch eine gemeinschaftliche, politische Dimension hat. Unterschriftenkampagnen können also doch ein zeitgemässes Instrument sein, aber nur wenn an der richtigen Stelle unterschrieben wird.
Bliebe noch die Frage nach einer erfolgreicheren Kommunikationstrategie. Nehmen wir mal an, Sie wären ein Atomkraftgegner und gleichzeitig Kunde eines Atomstromunternehmens, welcher der folgenden Slogans würde Sie am ehesten zum Ausstieg bewegen können:
a. Jetzt Neu: Atomstrom kann man kündigen!
b. Du bist Atomausstieg - zieh einfach den Stecker!
c. Boykottier die doofen Vier!
d. Zu blöd zum Stromwechsel? Jetzt ganz locker und easy