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C-Kampfstoffe auf dem Meeresgrund der Ostsee

Auf dem Grund der Ostsee tickt die Zeitbombe. Ca. 300.000 t Munition, von den Alliierten nach Kriegsende "notentsorgt", korrodieren langsam vor sich hin und geben ihren Inhalt frei: Gift.

Ostsee-Anrainer

Darunter: Hautkampfstoffe wie das arsenhaltige Lewisit, N-Lost und aus dem Iran-Irak-Konflikt bekannte S-Lost (Senfgas), die Reizstoffe Adamsit, Clark I und II, den besonders gefährlichen Nervenkampfstoff Tabun und das zu den Lungenkampfstoffen gehörende Phosgen, welches die unteren Atemwege schädigt und zu toxischen Lungenödemen führt - bei Nichtbehandlung zum Tod durch Ersticken.

"Ich musste das Ostsee-Gift versenken..." erinnert sich der Zeitzeuge und damalige Zwangsarbeiter der Sowjets Horst Ziegler im August 2001 in der WELT- Ausgabe (online)

Ziegler schildert in dem Bericht, wie er sich an Ministerien, Behörden und Politiker wandte - 1985 sogar an Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Er hat es aufgegeben - nach 30 Jahren. "So lange das Gift auf dem Meeresgrund liegt, bestehe kein Grund zur Sorge. Gefährlich werde es erst bei einer Bergung", so die Unisono-Antwort der Sachbearbeiter.


Die Helsinki-Kommission, 1992:
Das Problem ist bekannt. In diesem Zusammenhang wird auf den 1994 vorgelegten Abschlussbericht der international besetzten Helsinki-Kommission verwiesen. Die Helsinki-Kommission, die 1992 erweitert wurde, um den Schutz der Ostsee zu verbessern, kommt zu dem Schluss, dass kein Handlungsbedarf bestehe; damit folgt sie der deutschen Arbeitsgruppe, bestehend aus einer Bund-Länder-Gemeinschaft des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) in Hamburg.

Das Ergebnis der deutschen Arbeitsgruppe wurde 1993 im Abschlussbericht des BSH "Chemische Kampfstoffe in der Ostsee" zusammengefasst.

Eine Bestandsaufname:
Im Kleinen Belt wurden geschätzte 69.000 Tabungranaten, 5.000 t Bomben und Granaten, gefüllt mit Tabunen und Phosgenen versenkt, im Bornholmbecken (östlich von Bornholm) ca. 35.000 t Bomben und Granaten, Inhalt: Senfgas in unterschiedlicher Konsistenz, Clark I, Clark II, Adamsit, Phosgen, Tabun und Zyklon B., im Gotlandbecken (südlich von Gotland): etwa 2.000 t Kampfstoffmunition unbekannter Zusammensetzung.

Wie hoch ist das Gefährdungspotential?
Antworten auf eine kleine Anfrage des Abgeordneten Manfred Ritzek (CDU) im Oktober 2000 zu diesem Thema geben Auskunft:

SCHLESWIG-HOLSTEINISCHER LANDTAG - Antwort der Landesregierung - Minister für Umwelt, Natur und Forsten:

"...Die deutsche Expertengruppe kam zu der Gefährdungseinschätzung, dass auf Grund der chemischen und physikalischen Eigenschaften der Kampfstoffmunition nur von den schwer löslichen und schwer abbaubaren arsenhaltigen Kampfstoffen der Gruppen Clark, Adamsit und Lost in unterschiedlicher Konsistenz eine Gefährdung ausgehen könnte. Die übrigen Kampfstoffe werden durch das Meerwasser relativ rasch zu ungiftigen Produkten abgebaut. Eine Gefährdung der Küsten ist praktisch auszuschließen. Bisher konnte kein einziger Fall nachgewiesen werden, in dem versenkte Munition oder Kampfstoffreste aus den Versenkungsgebieten der Ostsee durch Strömungen an die Küsten getrieben wurden.

Eine großräumige Gefährdung des maritimen Milieus durch im Meerwasser gelöste Kampfstoffe kann ebenfalls ausgeschlossen werden. Es ist allerdings möglich, dass schwerlösliches Clark, Adamsit oder dickflüssiges Lost im Sediment in erhöhten Konzentrationen in unmittelbarer Nähe der Versenkungsstellen auftreten. Aufgrund der sehr begrenzten lokalen Ausdehnung und der Immobilität des Sediments besteht jedoch nach jetziger Kenntnislage keine Gefährdung der maritimen Fauna und Flora.

Eine reale Gefährdung durch die in der Ostsee versenkten Kampfstoffe und Kampfstoffmunition betrifft die Besatzungen von Fischereifahrzeugen, die in den Versenkungsgebieten fischen. Hier besteht die Gefahr, dass Behälter mit chemischen Kampfstoffen bzw. Kampfstoffmunition mit Grundschleppnetzen eingefangen und an Bord geholt werden. Für die Mannschaft der Fischkutter besteht dadurch grundsätzlich eine Kontaminationsgefahr. Eine Gefährdung des Verbrauchers durch kontaminierten Fisch ist unwahrscheinlich und bisher nicht belegt. Im Versenkungsgebiet östlich von Bornholm ist die Gefahr am größten, da hier die meiste Munition versenkt wurde, von der der größte Teil Lost enthält. Da im Kleinen Belt leicht abbaubare Nervenkampfstoffe wie Phosgen und Tabun versenkt wurden, besteht hier nach Auffassung der Experten keine Gefahr für die Fischerei durch freigesetzte Kampfstoffe.

In den deutschen Hoheitsgewässern der Ostsee wurde keine Kampfstoffmunition versenkt (mit Ausnahme einer möglichen Versenkung auf den Zufahrtswegen), so dass hier auch keine Bedrohung vorhanden ist. Den Fischern, die ostwärts Bornholm auf Fang gehen, sind die Versenkungsgebiete bekannt. Es ist ihnen auch bekannt, dass dort nicht mit Grundnetzen gefischt werden darf. Für einen dennoch möglichen Unfall haben sie Merkblätter der Seeberufsgenossenschaft an Bord und können auch Hilfe der dänischen Behörden auf Bornholm...."

Wissenschaftler der Forschungsstelle des Moskauer Shirshov Instituts für Ozeanologie in Kaliningrad teilen diese Meinung nicht. Wie der NDR im Juli letzten Jahres berichtete, ergaben Untersuchungen russischer Wissenschaftler vor Bornholm und im Skagerrak den Nachweis auf Schwermetalle und Arsen sowie Spuren von Senfgas und Sarin: Eindeutiges Zeichen dafür, " dass die Ummantelungen der Bomben porös sind und hochtoxische Stoffe ins Wasser dringen."

Bekannt sind bereits Vergiftungsfälle bei Fischern im Bornholmer Gewässer. In Ihren Schleppnetzen befand sich Lost. S-Lost liegt zumeist in Mischung mit Arsenkampfstoffen in größeren Klumpen vor. Die Hydrolyseprodukte bilden eine, wasserundurchlässige, da harzige Schicht. Der Kampfstoff innerhalb dieser Schicht wird dadurch quasi unzersetzbar.

Das "leicht abbaubare" Tabun gehört zu der gefährlichsten Kampfstoffart, dem Nervenkampfstoff, und unterliegt einer langsamen Hydrolyse, ähnlich die Stickstoff-Loste (N-Loste) und Schwefel-Loste (S-Loste); Die meisten Kampfstoffe weisen eine hohe Persistenz/Sesshaftigkeit auf, i.e. die Zeit, die ein Stoff in einem bestimmten Gelände bis zu seiner völligen Verflüchtigung benötigt. Sie ist von Topografie und meteorologischen Einflüssen abhängig und kann durch Zusatz polymerer Verbindungen erhöht werden.

Dazu Dr. Rainer Haas vom Büro für Altlastenerkundung und Umweltforschung:

"Kampfstoffe der Blaukreuzgruppe, insbesondere Clark I und Clark II sowie deren Umwandlungsprodukte, wurden bei der Untersuchung von Rüstungsaltlasten im Boden in Form von Kampfstoffplättchen und Bodenverunreinigungen sowie im Grundwasser angetroffen. Blaukreuzverbindungen sind in der Umwelt persistent. Im sauren Milieu liegen sie im Wasser als unzersetzte Kampfstoffe vor. Im neutralen und im basischen Bereich hydrolisieren sie über Diphenylarsinhydroxid zu Bisdiphenylarsinoxid (HAAS et al. 1991, HAAS et al. 1991/2)."

Einem Bericht von Wladimir Petrow, Korrespondent der "Kaliningradskaja Prawda" in Berlin am 23. September 2000 zufolge, übersteige in der Nähe des schwedischen Hafens Lysekil die Unterwasser-Konzentration von Senfgas und Lewisit den Grenzwert um ein Hundertfaches. Sollten sich Einschätzungen russischer Wissenschaftler bewahrheiten, dass in den nächsten 2-4 Jahren ein Großteil der Metallummatelungen korrodiert ist, hätte dies noch nicht absehbare Folgen für den Fischfang sowohl in der Ost- als auch in der Nordsee. Hauptbetroffene Länder sind neben Dänemark und Schweden auch Deutschland.

Was tun?
Eine Bergung wird von deutscher Seite ausgeschlossen, zum einen weil sie dem Bergungspersonal gefährlich werden könnte (auch durch derartige Rettungsaktionen ungewollt ausgelöste Explosionen). Die technische Umsetzung der Bergung von Munition, welche z.T. verstreut in bis zu 1.000 m Tiefe liegt, ist zudem nicht nur äußerst schwierig, sondern auch kostspielig. Dazu bedarf es vor allem eines verbesserten Ortungssystems - doch wie entsorgen?

Kunststoff-Pflaster, wie sie die Russen in anderen Fällen unter Wasser erfolgreich verwendet haben, wären eine Möglichkeit. Das favorisierte Lösungsmodell sieht jedoch eine Art Gel vor, das die Sprengkörper umschließt und so ein weiteres Ausdringen giftiger Substanzen verhindern soll. Ein Vorschlag, den deutsche Experten als zu aufwendig und zu teuer abtun."

Übersicht gefährlicher Kampfstoffe:
C-Kampfstoffe werden vier Kategorien zugeordnet:

Gelbkreuz: ätzende (hautschädigend),
Grünkreuz: erstickende (lungenschädliche)
Blaukreuz: Nasen- und Rachen- Reizstoffe
Weißkreuz: Augenreizstoffe


Lewisit: arsenhaltiger Hautkampfstoff, Gelbkreuz
S-Lost: Schwefellost (Dichlordiethylsulfid, Senfgas), Gelbkreuz
N-Lost: Stickstofflost Trichlortriethylamin, Gelbkreuz

Clark I, II: Reizstoffe, (Clark = Chlor- Arsen- Kampfstoff)
Adamsit: arsenorganisch, alle Blaukreuz

Phosgen: Carbonylchlorid, chemischer Lungenkampfstoff, Grünkreuz

Zyklon B: (Cyanwasserstoff unter Zusatz geringer Mengen Reizstoff adsorbiert auf Kieselgur), Grünkreuz

Sarin:
Soman:
Tabun: Phosphororganische Nervenkampfstoffe (Phosphorsäureester), Grünkreuz



Quellen:
Feuerwehr Halle
Büro für Altlastenerkundung und Umweltforschung
www.spezialgase.de
www.chemlin.de
Die Welt
NDR
www.umweltbundesamt.de
Landtag Schleswig-Holstein