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Dadaistische Regierungskunst, der Grüne Punkt und die Heuschreckennovelle

„Tüchtig ist, wer nicht gegen die Gesetze sich vergeht. Tüchtiger, wer sich nicht auf sie verlässt. Am Tüchtigsten, wer immer wieder sich erinnert, dass nur staatliche Funktionäre sie ungestraft übertreten dürfen“, schrieb der legendäre Dadaist Walter Serner vor über 80 Jahren.

Berlin, www.ne-na.de —Ein bizarres Beispiel deutscher Regierungskunst beleuchtet die Zeitschrift Capital in ihrer aktuellen Ausgabe unter der Überschrift „Fördert Minister Sigmar Gabriel eine Heuschrecke?“. Der Umweltminister wolle die Vorschriften für die Entsorgung von Verpackungsmüll neu sortieren. Nutznießer der Novelle sei der Private-Equity-Fonds Kohlberg Kravis Roberts (KKR), der den Grüne Punkt-Müllkonzern Duales System Deutschland (DSD) zu einem Schnäppchenpreis von 260 Millionen Euro gekauft habe und mit dem früheren Non-Profit-Unternehmen kräftig Rendite erwirtschaften wolle. „KKR will das DSD mit hohem Gewinn veräußern; als Kaufinteressent gilt unter anderem der französische Versorger Veolia“, so Capital. Auch die FAZ rechnet mit diesem Deal und stellt einen Zusammenhang her mit dem Verkauf der EnBW-Entsorgungssparte U-Plus an das Berliner Abfallunternehmen Alba. „Für U-Plus hatte unter anderem auch der französische Versorgungskonzern Veolia aus Paris geboten. Die Franzosen hätten jedoch einen Rückzieher gemacht, weil sie sich auf den Kauf des DSD und des zweitgrößten deutschen Entsorgungskonzerns Sulo konzentrieren wollten, hieß es aus Branchenkreisen“, spekuliert die FAZ. Der Gabriel-Entwurf „brächte zwar mehr Verkaufserlöse für KKR“, sagt Michael Brand, zuständiger Berichterstatter der CDU/CSU im Bundestag, gegenüber Capital. „Aber Wettbewerber und Verbraucher käme das teuer zu stehen“.

Für das Lobbyisten des Grünen Punktes zählen scheinbar andere Kriterien. Das kann man auf der Website von Wolfgang Schutt, Geschäftsführer von INTEC STATETIC ADVICE nachlesen: „Unser Netzwerk bei Politik, Behörden und Medien, eine tiefe fachliche Verwurzelung in der Themenwelt unserer Mandanten und unsere Erfahrung als einer der langjährigen Teilnehmer im Markt der politiknahen Strategieentwicklung ermöglichen weltblickende, proaktive Lösungen. Wir denken vom Ende her und sorgen auch dafür, dass unternehmerisch richtige Entscheidungen und öffentliche Erwartungen in Einklang kommen“. Und die Mandantenliste des Chedenkers Schutt, die auf seiner Internetpräsenz in früheren Jahren aufgeführt und mittlerweile entfernt wurde, klingt sehr bedeutsam: Man fand die Arbeitsgemeinschaft Verpackung und Umwelt (zum Vorstand zählen DSD-Aufsichtsratschef Professor Dr. Dr. h. c. mult. Erich Greipl von der METRO Vermögensverwaltung GmbH & Co. KG, Dr. Klaus Peter Stadler von der Coca-Cola GmbH und Hanno C. Fiedler von der BALL Packaging Europe Holding GmbH & Co. KG), das Bundesministerium für Umwelt, Coca Cola, DSD, Tetra Pak oder Trienekens. Als Kooperationspartner führte INTEC unter anderem die PR-Agentur Kohtes, Klewes & Partner in Bonn auf, an der Schutt mit fast 40 Prozent am Stammkapital beteiligt war. Raider heißt inzwischen Twix und Kohtes Klewes firmiert mittlerweile unter Pleon Kohtes Klewes. Wenig Überraschung erzeugen daher die aktuellen Rechercheergebnisse des Wirtschaftsmagazins Capital. So soll das DSD in Berlin den Sozialdemokraten Detlev Samland als erfahrenen Landschaftspfleger angeheuert haben. „Der frühere NRW-Europa-Minister verfügt in Berlin über exzellente Kontakte. So kennt er Gabriel aus der gemeinsamen Zeit bei der SPD-Jugendorganisation ‚Die Falken’“, so Capital. Einen direkten Draht habe Samland nach Capital-Informationen auch zu Umweltstaatssekretär Matthias Machnig bei der Düsseldorfer Werbeagentur BBDO, zu der auch Samlands Berliner Arbeitgeber, die Agentur Pleon gehört. Mitte 2006 präsentierte Machnig den Branchenverbänden das Eckpunktepapier für die Novelle der Verpackungsverordnung. „Branchenexperten behaupten, dass Samland dem Umweltstaatssekretär die Eckpunkte untergejubelt habe. Dies dementiert Samland gegenüber Capital. Sein Einfluss auf das Eckpunktepapier sei gering gewesen. Wie auch immer, Gabriels Pläne sind ganz nach dem Geschmack von KKR“, so Capital. So wolle das Bundesumweltministerium Handelslizenzen zulassen. Normalerweise sind Packmittelhersteller und Abfüller die Lizenznehmer des Grünen Punktes. Setzt sich die neue Philosophie durch, übernehmen die Händler für ihre Lieferanten die Lizenzierung der Produktverpackungen bei dualen Systemen. Nach Erkenntnissen des früheren DSD-Spitzenmanagers Fritz Flanderka praktizieren das bereits alle Discounter, was einem Lizenzvolumen von 400 bis 750 Millionen Euro im Jahr entspreche. Etwa ein Drittel des Marktes würde bei einer Hand voll Handelsbetrieben gebündelt. Auch Vollsortimenter seien in der Vorbereitung für eine Eigenlizenzierung. „Ist das der Wettbewerb, den wir gewollt haben, wenn acht dualen Systemen zum Schluss zehn Nachfrager gegenüber stehen“, fragt sich Flankerka. Im Kern gehe es um harte wirtschaftliche und nicht um ökologische Interessen. „Konzerne wie Tengelmann und Metro tendieren zum Marktführer DSD, nicht zuletzt wegen der Aussicht auf lukrative Rabatte. Die Hersteller ziehen mit — oder fliegen aus dem Sortiment“, schreibt Capital.