Egal ob man aktuelle Regierungs- oder Konzernberichte, eine Tageszeitung, ein Fachmagazin, Pressemitteilungen der Grünen Partei oder den jüngsten Energie-Report von Greenpeacer-international liest: Die Ausweitung des Biotreibstoffanbaus wird als Heilmittel für unseren, unter menschlichen Hitzewallungen leidenden Planeten propagiert. Unterschied ist lediglich, dass die unterschiedlichen Autoren mehr oder weniger Wert auf „nachhaltige“ Anbaumethoden legen. Das Einsprenkeln von Floskeln wie „Nachhaltigkeit“, „sozial verantwortlich“ oder „zertifiziert“ soll ja in Wirklichkeit auch nur Sand in die Augen einer kleinen kritischen Restöffentlichkeit streuen, die der wunderbaren rosaroten Biospritwelt, an der alle Menschen - ob Konzernboss, Kleinbauer oder Otto-Normalsprit-Verbraucher - profitieren können, nicht so ganz Glauben schenken wollen. Und zwar mit Recht: Denn der Boom der Agrartreibstoffe wie Ethanol, Biodiesel oder andere auf Plantagen wachsende Biomassen zur Energieerzeugung sind der Sargnagel für viele, bis heute noch nicht abgeholzte, tropische Wälder und noch nicht unter der Plantagenwirtschaft leidende Gebiete Lateinamerikas, Südostasiens, Schwarzafrikas und der Pazifikregion. Alles Gebiete, in denen noch heute Hunderte von Millionen Menschen und Tausende von indigenen Völkern leben und diese Flächen nachhaltig und Klima schonend nutzen.
Nun mit dem Einzug des Agrartreibstoff-Wahns, wie der aktuelle GRAIN-Report "No to the agrofuels craze!" den Biospritboom bezeichnet, müssen diese zahlreichen, namenlosen Menschen mit so bekannten Größen und Konzerne wie George Soros, Bill Gates, Shell oder British Petroleum, um ihren Grund und Boden konkurrieren. Der internationale Spekulant Soros habe sich seit 2002 Zehntausende von Hektar Land in Argentinien und Brasilien angeeignet und investiere mit seiner Firma Adenco vor allem in Zuckerrohr und Mais verarbeitende Ethanolfabriken, so die internationale in Spanien ansässige Nichtregierungsorganisation GRAIN, die sich seit über 15 Jahren für eine nachhaltige, artenvielfältige Landwirtschaft einsetzt und unter anderem von "Brot für die Welt" und "Misereor" gefördert wird. Ihrer Meinung nach sollte man gerade auch aus handfesten Klimaschutzgründen eher auf Agrartreibstoffe verzichten, als auf diese zu setzen. Jüngste Studien zeigten, dass zur Produktion von einer Tonne Biodiesel aus Palmöl zwei bis acht Mal mehr Kohlendioxid freigesetzt werde, als bei der Verbrennung der gleichen Menge von Erdöl-Diesel. Außerdem seien die in der industriellen Landwirtschaft und damit auch die in der Agrarsprit-Produktion eingesetzten Kunstdünger hauptverantwortlich für die Freisetzung des noch viel schädlicheren Klimagases Stickoxid.
Obwohl es selten erwähnt werde, so Grain, ist die industrielle Landwirtschaft direkt verantwortlich für 14 Prozent der Treibhausgasemissionen. Weitere landwirtschaftliche Kohlendioxidemissionen entstünden durch veränderte Landnutzung, hauptsächlich ausgelöst durch Umwandlung von Waldökosystemen in Monokulturen, was derzeit eben besonders durch den Palmöl-Biodieselboom in Indonesien und Malaysia geschehe. Aber nicht nur diese beiden Länder: Auch das bislang noch Regenwaldreiche und von traditionellen Kulturen geprägte Papua-Neuguinea oder die Philippinen wollen sich mit Hilfe internationaler Investitionen zu einem großen Biodiesel- oder Biodiesel-Rohstoffexporteur aufschwingen — zu Lasten von Regenwald und Tausender nachhaltig wirtschaftender Subsistenzbauern.
Grundsätzlich sei es nach Meinung der GRAIN-Experten völlig unrealistisch anzunehmen, dass Agrartreibstoffe den globalen Energieverbrauch decken könnten. Selbst wenn die USA ihre gesamte Mais- und Soja-Ernte in Agrarsprit verarbeiteten, könnten damit lediglich 12 Prozent des nationalen Benzinverbrauchs und nur sechs Prozent des nationalen Dieselverbrauchs gedeckt werden, so GRAIN. Für die EU falle diese Bilanz sogar noch schlechter aus. Weshalb es klar sei, dass die Agrotreibstoffdiskussion vor allem auf die Entwicklungsländer abzielt, wo sich das Agrobusiness - auf Kosten von lokalen Bevölkerungen und Ökosystemen - noch weiter ausbreite.
Auch die oft von grünen Befürwortern angeführte Mär von der Möglichkeit einer ökologisch und sozial verantwortlichen Agrarsprit-Produktion in Lateinamerika, Asien oder Afrika hält den von GRAIN gesammelten Fakten und Analysen nicht stand. Die Produktion von so genannten nachhaltigen Agrartreibstoffen sei lediglich eine „Erfindung“ der profitierenden Industriebranchen als Antwort auf die zunehmende Kritik an Agrartreibstoffen.
Deshalb haben nun bereits dreißig deutsche Organisationen aus dem Umweltschutz- und Entwicklungshilfebereich, von Rettet den Regenwald bis zum Bund Naturschutz in Bayern, einen auf diesen Fakten basierenden Brief an den Umweltausschuss des Deutschen Bundestages unterschrieben. Die gewählten Volksvertreter werden darin schließlich aufgefordert, „Agrarenergie in keiner Weise zu fördern, sondern sich für konsequente Energieeinsparung einzusetzen.“
Diese Haltung entspricht ebenso der Meinung des bekannten, brasilianischen Befreiungstheologen Frei Betto, der sich jüngst in einem Bericht der „Correio Braziliense“ schockiert über die nationale und internationale Euphorie für Biotreibstoffe äußerte, die er als „Treibstoffe des Todes“ bezeichnet und damit frontal gegen den Karren der Regierung Lula da Silva tritt. Tag für Tag nudeln Radiostationen und Fernsehsender die Propaganda der Regierung und des staatlichen Erdölkonzerns Petrobrás für Biotreibstoffe und für „mehr Energie“ ab, während Lula gleichzeitig Brasiliens knappe Steuergelder für die umstrittene, mehrere Milliarden Euro teure Teilumleitung des Rio Sao Francisco verschwendet, gerade auch um damit neue Biosprit-Monokulturen im Nordosten zu bewässern - zu Lasten der am und vom Sao Francisco lebenden indigenen und traditionellen Bevölkerungsgruppen.
Laut Frei Betto habe aufgrund des heutigen Ethanolrauschs die Bevölkerung Brasiliens im ersten Halbjahr dieses Jahres bereits dreimal mehr für Nahrungsmittel ausgeben müssen, als im Jahr zuvor. In der ganzen Welt gebe es etwa 800 Millionen Autos - die gleiche Zahl von Menschen leide unter chronischer Unterernährung. Doch keine der von Ethanol und Biodiesel begeisterten Regierungen stelle den Individualverkehr in Frage. Betto: "So, als ob die Profite der Automobilindustrie tabu, unangreifbar wären." Der streitbare Dominikaner forderte die Regierung Brasiliens auf, sich wirklich um die Hungernden des Landes zu kümmern, anstatt die von Präsident Lula in diesem Jahr als „Helden“ bezeichneten Zuckerrohrunternehmer reicher zu machen.
Ungeachtet dessen verbreiteten namhafte Vertreter der deutschen Grünen Partei wie die Ex-Minister Jürgen Trittin und Bärbel Höhn erst Anfang Juli wieder im brasilianischen São Paulo das hohe Lied vom angeblich nachhaltigen Biotreibstoffanbau, den man „realistisch aber kühn“ vorantreiben müsse. Während dieser von Rio de Janeiros Heinrich Böll Stiftung mitorganisierten sommerlichen Auslandsreise trafen sich die Grünen Abgeordneten deshalb unter anderem auch mit Managern der Agrartreibstoffindustrie, um, wie es in der Mitteilung der Heinrich Böll Stiftung Rios heißt, die Ethanol- und Biodiesel-Realität aus der Nähe kennen zu lernen. Trittin lobte schließlich auch Lulas Ethanol-Helden „für ihre „große technische und logistische“ Erfahrung.
Norbert Suchanek, Rio de Janeiro,sexta-feira, 27 de julho de 2007
Norbert Suchanek
Journalist und Autor
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