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Erdgas: Nachfrage-Boom mit Nebenwirkungen

Der Energieträger Erdgas sieht global einer „glänzenden Zukunft“ entgegen. Das prognostiziert die Internationale Energieagentur IEA in ihrem aktuellen World Energy Outlook. Erdgas, so die von den Industrieländern gegründete Institution, sei der einzige fossile Energieträger, dessen Anteil am Weltenergiemix bis 2035 zunehme.

Er sei „sauberer“ als Öl oder Kohle und prinzipiell in ausreichenden Mengen vorhanden. Auch für die deutsche Energieversorgung wird Erdgas nach der Entscheidung der Bundesregierung für den Atomausstieg wichtiger. Viele Umweltschützer halten das Gas als Brücke in die erneuerbare Energieversorgung für unverzichtbar. Ohne Risiken für die Nachhaltigkeit lässt sich diese Brücke allerdings nicht beschreiten.

Erdgas, sagt Andree Böhling, Klima- und Energieexperte bei Greenpeace, sei  „die einzig notwendige und die am besten geeignete Brückentechnologie“ für den Übergang in die vollständig erneuerbare Energieversorgung Deutschlands. Anders als Energie aus Wind- oder Sonnenkraft setze Erdgas zwar CO2 frei. Es sei aber deutlich klimafreundlicher als Strom aus Kohle und mit erheblich geringeren Risiken verbunden als die Atomkraft. Ein modernes Gaskraftwerk stößt der Umweltschutzorganisation zufolge nur halb so viel klimaschädliches Kohlendioxid aus wie ein Kohlekraftwerk. Gaskraftwerke eigneten sich zudem bestens zur Kraft-Wärme-Kopplung, seien effizienter und verringerten dadurch Brennstoffkosten und die Importabhängigkeit.

Letztere ist indes schon hoch. Laut Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) stammten 2009 nur etwa 16 Prozent des in Deutschland genutzten Erdgases aus heimischer Produktion — Tendenz fallend, wodurch die Abhängigkeit von Gasimporten aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion, Afrika und dem Mittleren Osten steigt. Verschärft wird dies durch die weltweit anziehende Nachfrage nach dem endlichen Energieträger. Eine Möglichkeit, die Importabhängigkeit zu verringern, wäre der BGR zufolge die „Erschließung nicht-konventioneller Erdgasressourcen in Europa“. Dieses „unkonventionelle Gas“ macht nach Schätzung der IEA die Hälfte der weltweit verfügbaren Vorkommen aus.

Es findet sich in tiefen Gesteinsschichten, die sich nur mittels des sogenannten „Fracking-Verfahrens“ erschließen lassen. Dabei werden Wasser und Chemikalien unter hohem Druck durch ein Bohrloch in den Untergrund verpresst, um das Gas zu gewinnen. In Deutschland erproben bereits einige Unternehmen diese Art der Förderung — was viele Energie und Umweltexperten mit Sorge beobachten: Die verpressten Stoffe könnten unter anderem das Grund- und Trinkwasser gefährden, hieß es Ende November während einer Anhörung von Sachverständigen im Deutschen Bundestag. Laut Umweltbundesamt (UBA) ist auch der Flächenverbrauch bei der Gewinnung des sogenannten Schiefergases groß. Er liege pro Bohrplatz zwischen 1,5 und 2 Hektar.

Insgesamt, so Klaus Müschen, Leiter der Abteilung Klimaschutz und Energie im UBA, sei die Stromerzeugung aus Erdgas zwar klima- und umweltfreundlicher als die Kohleverstromung. „Im strengen Sinne nachhaltig ist sie aber auch nicht.“ Sie sollte deswegen nur für eine Übergangszeit bis zu einem hauptsachlich auf erneuerbaren Energien basierenden System zum Einsatz kommen.

2050 könnte das nach Einschätzung des UBA soweit sein. „Zur Jahrhundertmitte kann die Stromerzeugung in Deutschland komplett ohne fossile Energieträger auskommen“, sagt Müschen, ebenso die Versorgung mit Raumwärme und Warmwasser. Greenpeace-Experte Böhling sagt, auch der Erdgasbedarf könne bis 2030 in Deutschland um 25 Prozent gesenkt werden. Voraussetzung dafür seien konsequente Energieeinsparmaßnahmen im Gebäudesektor und mehr Energieeffizienz bei der Strom- und Wärmeerzeugung durch Nutzung von Kraft-Wärme-Kopplung. „Gas ist zwar der sauberste fossile Brennstoff“, sagt er, „aber jede Brücke ist endlich“.

 

Quelle: „Rat für Nachhaltige Entwicklung“, www.nachhaltigkeitsrat.de