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Forscher: Nicht jeder Fisch mit Öko-Siegel tatsächlich nachhaltig

Am 20. April war in Deutschland „Fish Dependence Day“. Jeder Fisch, der seitdem auf deutschen Tellern landet, stammt nicht mehr aus europäischen Gewässern, sondern aus dem Ausland. Rein rechnerisch ist Deutschland damit für den Rest des Jahres vollständig auf den Import von Fisch und Meeresfrüchten angewiesen, wie die Meeresschutzinitiative Ocean2012 errechnet hat.

Ursächlich sei die anhaltende Überfischung der europäischen Meere. Viele Verbraucher setzen deswegen auf Fisch mit Nachhaltigkeitssiegel. Deren Aussagekraft stellen jetzt zwei deutsche Forscher infrage.

Entsprechende Opens external link in new windowForschungsergebnisse haben der Fischereibiologe Rainer Froese vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel und der Rechtswissenschaftler Alexander Proelß von der Universität Trier im April im Fachmagazin Marine Policy veröffentlicht. 31 Prozent der durch das Öko-Siegel Marine Stewardship Council (MSC) als nachhaltig zertifizierten Fischprodukte sollen demnach aus überfischten Beständen stammen oder aus solchen, die nicht umweltverträglich befischt werden. Beim in Deutschland weniger bekannten Nachhaltigkeitssiegel Friend of the Sea (FOS) liege die Quote bei 19 Prozent.

„Nur etwa die Hälfte der MSC-zertifizierten Produkte stammte aus nachweislich gesunden Beständen mit angemessen niedrigem Fischereidruck“, sagt Froese. „Etwa ein Drittel der zertifizierten Fischbestände war zu klein und wurde gleichzeitig zu hart befischt.“ Die übrigen Bestände seien entweder zu klein gewesen, zu hart befischt oder es hätten keine belastbaren Informationen über ihren Zustand vorgelegen. Zweifel äußern die Forscher zudem an der Unabhängigkeit der Gutachter, die Fischereien zertifizieren. Diese würden nämlich von den Fischerei-Unternehmen bezahlt. Verbraucher könnten sich daher nicht uneingeschränkt auf die Umweltsiegel verlassen.

Der MSC Opens external link in new windowwehrt sich gegen diese Vorwürfe: Die in der Studie genutzte Definition von Überfischung und viele der verwendeten Referenzpunkte seien „international nicht akzeptiert“, sagt Christopher Zimmermann, stellvertretender Leiter des Thünen-Instituts für Ostseefischerei und Vorsitzender des Technischen Beirates des MSC. Die Resultate von Froese und Proelß seien „somit irrelevant“. Die Siegelorganisation Opens external link in new windowFOS begrüßte die Ergebnisse dagegen grundsätzlich und stellte in Aussicht, strittige Zertifizierungen auf den Prüfstand zu stellen.

Das will auch Froese: „Die Zertifizierer müssen ihre Kriterien verschärfen und dann auch einhalten.“ Überfischten Beständen müsste das Zertifikat entzogen werden. Trotz der Kritik: Von den Siegeln abraten will der Fischereibiologe nicht. Sie unterstützten Verbraucher bei der Auswahl umweltverträglicher Fischprodukte. Fisch und Meeresfrüchte mit MSC- oder FOS-Siegel seien immer noch sicherer als nicht zertifizierte Ware. Die Wahrscheinlichkeit, dass Fische tatsächlich aus nachhaltigem Fang stammen, sei mit ihnen drei bis viermal höher als bei Meeresfrüchten ungeprüfter Anbieter.

Das grundsätzliche Problem — die anhaltende Überfischung der Meere — muss nach Ansicht der internationalen Meeresschutzinitiative Ocean2012 politisch gelöst werden: „Die Fischereigewässer der EU könnten zu den reichsten der Welt gehören“, sagt Nina Wolff von der Opens external link in new windowDeutschen Umwelthilfe, einem Ocean2012-Mitgliedsverband. „Doch überwiegend werden sie verantwortungslos bewirtschaftet.“ Die anstehende Reform der EU-Fischereipolitik müsse die Überfischung und destruktive Fangmethoden beenden.

Die Umweltschutzorganisation Opens external link in new windowGreenpeace sieht das Kernproblem in der zu großen Fangkapazität der europäischen Fischereiflotte. Den zuständigen Ministern sei es bislang nicht gelungen, sie zu reduzieren. „Daher spielen engagierte Verbraucher eine wichtige Rolle“, so Greenpeace-Meeresexpertin Iris Menn. „Sie können mit ihrem Kauf Handel und Politik zeigen, dass sie ein umweltfreundliches Fischangebot möchten.“ Welche Fische noch ohne Bedenken gegessen werden können, zeigt ein neuer Opens external link in new windowFischratgeber der Organisation. Er bewertet rund 80 Arten hinsichtlich ihrer Gefährdung. Neben dem Zustand der Bestände wurden dafür die Umweltauswirkungen der Fangmethoden berücksichtigt.

Quelle: „Rat für Nachhaltige Entwicklung“, www.nachhaltigkeitsrat.de