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Ist Bio-PVC wirklich bio?

Dioxin-Skandal-Firma erzeugt „Bio-PVC“ aus Ethanol. Flächenkonkurrenz nimmt zu.

Der Kunststoff PVC (Polyvinylchlorid) steht seit Jahrzehnten ganz oben auf der Schwarzen Liste von Umweltschützern. Denn seine Produktion verbraucht nicht nur große Energiemengen. Er ist auch mitverantwortlich für die Verschmutzung der Umwelt mit hochgiftigen Dioxinen, die bei Produktion und Verbrennung von PVC entstehen. Doch nun soll PVC plötzlich ökologisch und "Bio" sein. Das zumindest meint der internationale Pharma- und Chemiekonzern mit Sitz in Brüssel, Solvay Indupa. Im brasilianischen Santo André bei São Paulo will er nun erstmals PVC aus Zuckerrohr-Ethanol herstellen, mit einer Endkapazität von 360.000 Tonnen pro Jahr. Weil die Basis dieses Kunststoffs somit ein so genannter nachwachsender Rohstoff ist, preist der Konzern sein neues Produkt als „PVC Verde“ an, was aus dem brasilienischen übersetzt soviel wie "Grüner"- oder „Bio-PVC“ bedeutet. “Santo André werde das erste Industrieprojekt Amerikas sein, das erneuerbare Rohstoffe zur Herstellung von PVC einsetzt. Diese Innovation wird den Ausstoß einer großen Menge Kohlendioxid in die Atmosphäre verhindern“, so die Firmenpropaganda.

Nichtsdestotrotz werden Umwelt und Bevölkerung kaum vom Ethanol-PVC profitieren. Denn die Erde ist rund und Boden nicht vermehrbar. Zuckerrohr-Ethanol steht bereits als Basis für Biotreibstoff in der Kritik von Umweltschützern und Menschenrechtlern. Zum einen erzeugen die industriellen Zuckerrohrplantagen erhebliche Umweltbelastungen durch Einsatz von Pestiziden und hohem Wasserverbrauch. Zum anderen hat bereits die Nutzung von Agrarprodukten zur Biotreibstoffproduktion die Nahrungsmittelpreise global nach oben getrieben, was vor allem die Menschen mit einem geringen Einkommen betrifft.

In weiterer Konkurrenz dazu stehen außerdem die nachwachsenden Rohstoffe zur Herstellung biologischer Dämmstoffe wie beispielsweise Flachs. „Die Flachspreiskurve zeigt seit einigen Monaten einen stetig steigenden Verlauf“, berichteten Wissenschaftler vergangenen Juni bei der jüngsten Tagung „Faserpflanzen aus ökologischem Anbau“ des Forschungsrings. „Auch am Flachsmarkt sind die unmittelbaren Auswirkungen der Flächenkonkurrenz zwischen energetischer und stofflicher Nutzung landwirtschaftlicher Flächen nicht spurlos vorüber gegangen: Es ist ein Rückgang der Flachsanbaufläche im Frühjahr 2007 zu verzeichnen“, heißt es im November 2007 veröffentlichten Tagungsband. Der Grund hierfür sei einfach: „Viele Flachsanbauer sehen derzeit im gut bezahlten Getreide- oder Energiepflanzenanbau ökonomisch interessante Alternativen zu Flachs.“

Wenn nun auch noch Agrarflächen zur Herstellung von Kunststoffen herhalten müssen, wird der Druck auf Nahrungsmittelpreise und auf noch nicht ausgebeutete Ökosysteme zur Ausweitung der Plantagen weiter erhöht. Vor allem Zuckerrohr benötigt gesunde Böden und wächst nicht auf so genannten degradierten Flächen, wie oft von Biospritbefürwortern behauptet.

Die Herstellung von PVC egal ob mit Hilfe von Erdöl oder von Zuckerrohr birgt aber noch andere Gefahren. Dieselbe Brüsseler Firma, die nun das „PVC Verde“ zusammen mit BASF unter dem Firmennamen SolVin in Brasilien auf den Markt bringen will, war 1999 Ursache eines massiven Dioxinskandals in Europa. Lebensmittelkontrolleure entdeckten in belgischen Nahrungsmitteln extrem hohe Konzentrationen an Dioxinen. Ursache waren als Tierfutter deklarierte Zitrusabfälle aus Brasilien, die mit Kalk aus Santo André neutralisiert wurden. Problem: Der Kalk war hochgradig mit Dioxinen der PVC-Produktion von Solvay Indupa belastet. Das biologische Institut des Bundesstaates von São Paulo berichtete damals von einem Giftberg von 1,4 Millionen Tonnen, mit Dioxinen belastetem Kalk, der von der seit 1948 in Santo André arbeitenden PVC-Firma erzeugt wurde und die Umwelt bedrohe und irgendwie entsorgt werden müsse.

Norbert Suchanek, Rio de Janeiro

 

Norbert Suchanek
Journalist und Autor
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