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Neue EU-Strategie soll bis 2020 Artensterben stoppen – Experten skeptisch

In der Europäischen Union sind immer noch 25 Prozent der heimischen Tierarten vom Aussterben bedroht, 88 Prozent der Fischbestände gelten als überfischt – obwohl die Europäische Kommission das rasant voranschreitende Artensterben eigentlich bis 2010 aufhalten wollte.

Mit einer neuen Strategie will sie den Artenschwund nun bis zum Jahr 2020 stoppen. Große Sorgen bereitet der Kommission unter anderem das Bienensterben in Europa. Die Dezimierung der Bestände gefährde die Bestäubung von Pflanzen, heißt es in der Strategie. Dem Agrarsektor drohten „ernste Konsequenzen“. Ein völliger Zusammenbruch der Bestäubung kann laut EU Verluste von jährlich 15 Milliarden Euro verursachen. Artenschutzexperten bescheinigen der neuen Kommissionsstrategie einige gute Ansätze. Um erfolgreich sein zu können, müsse sie aber viel enger mit anderen EU-Strategien verknüpft werden.

Die Biodiversität, sagte EU-Umweltkommissar Janez Potočnik Anfang Mai bei der Vorstellung der Strategie, „ist unser natürliches Kapital, das wir zu schnell verbrauchen. Die EU müsse sich deutlich stärker gegen das Artensterben engagieren. In ihrer Strategie bis zum Jahr 2020 konzentriert sich die Kommission auf sechs Ziele: Unter anderem will sie „wo immer möglich“ zerstörte Ökosysteme wieder herstellen und die Schutzgebiete des europaweiten Natura-2000-Netzwerks besser verwalten. Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft sollen nachhaltiger und sogenannte invasive Arten, die einheimische verdrängen, bekämpft werden. Außerdem stellt die Kommission mehr Geld für den globalen Artenschutz in Aussicht.

Deutsche Naturschutzexperten bleiben skeptisch. Carsten Neßhöver vom Netzwerk-Forum Biodiversitätsforschung begrüßt die Strategie zwar und nennt einige ihrer Ziele „sehr ambitioniert“. Gut sei zum Beispiel die Absicht, bis 2014 den Wert ökologischer Leistungen europaweit zu erfassen. Zu kurz greifen seines Erachtens aber die Vorschläge zur Landnutzung. Der Anbau von Energiepflanzen schafft laut Neßhöver EU-weit immer mehr Monokulturen, die der Artenvielfalt schaden. Wie die Kommission unter diesen Vorzeichen mehr Artenschutz erreichen wolle, erkläre sie nicht. Als grundsätzliches Manko kreidet der Geoökologe der Kommission an, dass sie an zu vielen Stellen offen lasse, „wie Artenschutz in zentralen Politikfeldern wie der Agrar- oder Fischereipolitik umgesetzt werden soll“.

Die mangelnde Koordination zwischen unterschiedlichen Politikfeldern kritisiert auch Lutz Ribbe, Politikchef der Naturschutzorganisation Euronatur. „Die Kommission will Artenschutz, intensiviert aber gleichzeitig die Landnutzung, den Verkehr oder die Massentierhaltung“. Wenn die EU das Artensterben ernsthaft stoppen wolle, müsse sie den Schutz der Biodiversität viel stärker in ihrer Wirtschafts-, Verkehrs- oder Ressourcenstrategie verankern. Ähnlich argumentieren der Naturschutzbund Deutschland (NABU) und die Umweltstiftung WWF. „Die fundamentalen Lösungen zum Schutz der Natur“, sagt WWF-Artenschutzexperte Alberto Arroyo, „finden sich nicht in der Biodiversitätsstrategie“. Seitens des NABU heißt es, die Artenschutzstrategie werde „gnadenlos scheitern“, wenn die EU Sektoren wie die Agrar- und die Fischereipolitik nicht auf Nachhaltigkeit trimme.

Der NABU sieht Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner in der Pflicht. Sie müsse den ökologischen Umbau der Landwirtschafts- und der Fischereipolitik gegen starke Lobbies durchsetzen. Euronatur-Experte Ribbe mahnt, die Bundesregierung müsse ihre eigenen Gesetze ernst nehmen. Im Bundesnaturschutzgesetz etwa schreibe sie einen Biotop-Verbund auf zehn Prozent der Fläche Deutschlands vor. „Bis heute“, sagt Ribbe, „hat sie dafür aber keine Umsetzungspläne“.

Quelle: „Rat für Nachhaltige Entwicklung“, www.nachhaltigkeitsrat.de