Vertrauensbildung - oder besser ausgedrückt: Wiedergewinnung des Vertrauens ist notwendig, doch werden die Anstrengungen und Bemühungen von den Verbrauchern honoriert werden? Aber nicht nur die Verbraucher sind verunsichert, auch die ökologisch geführten Landwirtschaftsbetriebe stehen vor der Frage, wie sie sich selbst schützen können, z.B. vor pestizid-verseuchten Futtermitteln, welche ihnen als Erzeugnisse aus ökologischem Anbau verkauft wurden. Unbestritten ist, dass dem Ansehen ökologischer Produkte und somit dem gesamten ökologischen Landbau ein noch nicht zu definierender Schaden zugefügt wurde. Daran ändert auch das Öko-Siegel nichts.
Können aber Ökosiegel und verschärfte Kontrollen langfristig effiziente Abhilfe schaffen angesichts MPA-Hormonen in Schweinen oder Nitrofen-Rückständen in Futtermitteln?
Nitrofen und die Folgen...
- Was ist Nitrofen?:
Nitrofen ist ein seit 1980 in der BRD, seit 1988 in sämtlichen EU-Mitgliedstaaten verbotenes Pflanzenschutzmittel. Nitrofen hat in Tierversuchen Krebs erzeugt und gilt als fruchthemmend. Die zugelassene Höchstmenge von Nitrofen ist nach wie vor umstritten, da bis heute nicht erforscht ist, ab welcher Menge Nitrofen Menschen Schaden zufügt.
- Der Skandal im Rückblick:
Ein Hersteller von Babynahrung in Bayern findet im Januar 2002 bei Eigenkontrollen im Putenfleisch eines niedersächsischen Erzeugers Nitrofenrückstände, die die zulässige Höchstmenge von 0,01 mg/kg übersteigen. Erste, vorerst betriebliche Kontrollen werden durch den Erzeuger angestrengt und auf den Futtermittelhersteller ausgeweitet. Ein Untersuchungslabor wird eingeschaltet und bestätigt im März erhöhte Nitrofengehalte in Futterproben des betroffenen Futtermittelherstellers. Am 4. April 2002 wird erstmals die Öko-Kontrollbehörde des Ministeriums für Landwirtschaft und Umweltschutz in Brandenburg unterrichtet.
Es vergeht über ein Monat, bis das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft über die Kontaminierung von Getreide mit Nitrofen informiert wird. Erst am 23.Mai wird das Land Niedersachsen offiziell unterrichtet, ein Tag später geht der Bericht im Rahmen des sogenannten Schnellwarnsystems für Lebensmittel an die EU-Mitgliedsstaaten.
Weitere Proben ergeben Ende Mai, dass ca. 500 t Futtergetreide aus Brandenburg, Mecklenburg Vorpommern, Niedersachsen und Sachsen Anhalt kontaminiert sind, betroffen: 73 Betriebe mit 90 Betriebsstätten, die Futtermittel des Herstellers bezogen haben und gesperrt werden, darunter auch 6 Betriebe in Nordrhein-Westfalen.
Der Skandal weitet sich mit erhöhten Nitrofenfunden bei Legehennen und Eiern Ende Mai 2002 aus und veranlasst am 30. Mai 2002 die Bundesministerien zur Bildung von drei Arbeitsgruppen mit dem Ziel, die Ursachen und Quellen der Kontaminierung zu lokalisieren, die Kontrollmaßnahmen der Kontrollstellen zu prüfen und anhand der Ergebnisse Rechtsfragen zu klären, die die erforderlichen Änderungen im Lebensmittel- und Futtermittelrecht voranzutreiben sollen.
Im Juni verdichten sich Anhaltspunkte für eine mögliche Kontaminierungsquelle: Ein Lager für Ökogetreide in Malchin (Mecklenburg-Vorpommern) - der Verdacht wird eindeutig bestätigt pikant ist, dass der Betreiber durch die zuständige Öko-Prüfstelle inspiziert wurde, das Lager in Malchin eingeschlossen. Das Unternehmen will selbst am 26. März 2002 erstmalig von Nitrofen-Funden aus Getreidelieferungen im November des Vorjahres erfahren haben.
Noch im Juni teilte das BMVEL der Europäischen Kommission mit, dass von keiner weiteren Kontaminierungsquelle ausgegangen werde. Am 11. Juni ist das drohende Ausfuhrverbot von Öko-Erzeugnissen deutscher Herkunft durch die Europäische Kommission endgültig abgewendet.
Die Folgen für die Betriebe:
"Mit Stand 24. Juni 2002 bestehen fleischhygienerechtliche Sperrmaßnahmen für landwirtschaftliche Betriebe in Bayern (46), Brandenburg (4), Niedersachsen (31), Nordrhein-Westfalen (5), Sachsen-Anhalt (1) und Schleswig-Holstein (2). Das bedeutet: Tiere aus entsprechend gesperrten Betrieben müssen zum Zeitpunkt der Schlachtung auf Nitrofen untersucht werden; anschließend ist auf der Grundlage der Untersuchungsergebnisse ein Urteil über die Verkehrsfähigkeit zu treffen. Sperrmaßnahmen nach dem Fleischhygienerecht bestehen aufgrund der Mastdauer in der Regel deutlich länger als Sperrmaßnahmen nach dem Futtermittelrecht.
Mit Stand 25. Juni 2002 bestehen Sperrmaßnahmen nach dem Futtermittelrecht in Bezug auf Nitrofen bundesweit nur noch in einem Betrieb in Bayern. Darüber hinaus sind noch bestimmte Betriebsteile der Norddeutschen Saat- und Pflanzgut AG -NSP- Malchin, die Trocknungs- und Reinigungsanlage Altentreptow sowie die niedersächsische GS agri Handelsgenossenschaft eG gesperrt. Unter den entsperrten Betrieben sind auch die mecklenburgische FUGEMA GmbH & Co.KG Malchin sowie die von ihr mit Futtermitteln belieferten und deswegen gesperrten landwirtschaftlichen Betriebe."
Quelle: www.verbraucherministerium.de/ Stand 12.08.2002
Hilfe für die Nitrofen-betroffenen Betriebe:
Einer Pressemitteilung des Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesverbraucherschutzministerium, Matthias Berninger anlässlich seines Vortrages beim Deutschen Raiffeisenverband in Oldenburg am 05. Juni 2002 zufolge soll den betroffenen Betrieben bestmöglich Hilfe in Form eines Liquiditätshilfeprogramms zuteil werden:
Die Landwirtschaftliche Rentenbank bietet besagtes Liquiditätshilfeprogramm für in Schwierigkeiten geratene und gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 2092/91 ökologisch wirtschaftende Betriebe an. Inhalt des Programms ist ein Sonderkredit-Verfahren mit zinsgünstigen Darlehen bis zu 500.000 Euro und einer maximalen Laufzeit von vier Jahren bei einem Nominalzins von 5,05 %. Besonders interessant ist das Tilgungsfreijahr des Verfahrens. Betroffene Firmen sollen sich an ihre Hausbank wenden, die wiederum den Darlehensantrag im bekannten Hausbankenverfahren an die Landwirtschaftliche Rentenbank weiterleitet.
Das Bundesprogramm Ökologischer Landbau:
Neben der versprochenen Darlehenmaßnahme als Soforthilfe für die betroffenen Öko-Landwirte setzt die Bundesregierung auf ihr Bundesprogramm Ökologischer Landbau, welches massive Fördermaßnahmen für die ökologische Landwirtschaft mit einem Budget von 35 Millionen Euro pro Jahr für jeweils 2002 und 2003 verspricht. Teil des Programms ist auch das Öko-Siegel. Beides zusammen sollen Angebot und Nachfrage von Bio-Produkten gleichgewichtig und dynamisch wachsen lassen; speziell das Öko-Siegel soll das Vertrauen der Verbraucher gewinnen durch exaktere Produktinformation einerseits und Aufklärung über bestehende Regelungen im Öko-Landbau andererseits.
Quelle: www.bundesprogramm-oekolandbau.de
Ob das Öko-Siegel von den Händlern und Verbrauchern allerdings so angenommen wird, bleibt ein unkalkulierbares Risiko. Die Frage nach verschärften Kontrollen und der Bezahl- /Durchführbarkeit dieser klärt das Bundesprogramm nicht.