Benötigt würde eine echte Neuerung vor allem in Bezug auf die Direktzahlungen, meint Erstautor Dr. Guy Pe'er. Wie diese aus Forschungssicht aussehen müssten, erzählt er im NeFo-Interview.
NeFo: Herr Pe'er, Sie haben die GAP einem Fitness-Check unterzogen. Was wollten Sie wissen und was haben Sie dazu methodisch getan?
Pe'er: Nachdem ich die Verhandlungen zur GAP nun seit einigen Jahre beobachte, stelle ich erstaunt fest, dass Entscheidungsprozesse bei der Anpassung einer so wichtigen Politik eher auf Meinungen und Lautstärke bei ihrer Verkündigung fußen als auf tatsächlichen Erfahrungen, Fakten oder Untersuchungsergebnissen. Wir wollten also die Lücke in der Politikevaluation schließen und sichteten dazu die Forschungsliteratur zur GAP, um die grundlegenden Fragen zu beantworten: Ist sie überhaupt effektiv? Und effizient? Also: Erfüllt sie ihre Ziele?
Wir betrachteten dabei sowohl sozio-ökonomische als auch Umwelteffekte und stellten die Frage, ob sie sich positiv auf die Erfüllung der UN-Nachhaltigkeitsziele auswirkt, auf die die EU erst kürzlich berufen hat.
NeFo: Wie gut ist denn das viele Haushaltsgeld in der GAP angelegt?
Pe'er: Unsere Auswertungen ergaben, dass die GAP nicht besonders effektiv ist, was uns nicht sonderlich verwunderte, da der Verdacht doch recht lange schon im Raum stand. Was uns jedoch sehr erstaunte, war das extreme Ausmaß. Fast 70 Prozent der GAP geht zur Direktzahlungen die ohne klare Verbindung zu der GAP formulierten Ziele vergeben.
Erstaunt waren wir auch über das geringe Zusammenspiel der verschiedenen Instrumente. Einigen Instrumenten, die den Umweltschutz voranbringen sollen, stehen wesentlich mehr Instrumente entgegen, die indirekt die Intensivierung vorantreiben und so die Effekte der ersten neutralisieren.
Außerdem fanden wir, dass die EU-Kommission der Öffentlichkeit oft etwas anderes kommuniziert, als sie in Wirklichkeit tut. So fordert die Mehrheit der Bevölkerung mehr öffentliche Leistungen für öffentliche Gelder, und sogar Landwirte bevorzugen inzwischen die Honorierung aus der 2. Säule der GAP. Da ist es wenig nachvollziehbar, so viel Geld in Direktzahlungen zu stecken oder sogar die Ausgaben für Agrar-Umweltmaßnahmen zurückzufahren, wie es in der letzten GAP-Reform geschah. So wurden einge bereits erziehlten Erfolge wieder zunichte gemacht.
NeFo: Die Rufe nach der Abschaffung von Agrarsubventionen bzw. der Umnutzung im Sinne gesellschaftlicher Interessen ist inzwischen sehr laut, selbst unter Landwirten. Doch die Agrarlobby und auch die EU unterbinden dies immer wieder mit der Aussage, die Bauern würden ohne Direktzahlungen wegsterben. Was ist dran an diesem Argument?
Pe'er: Die EU behauptet, eine solche finanzielle Unterstützung der Betriebe sei nötig, aber dass zu ihrer Unterstützung Direktzahlungen das Mittel der Wahl sind, war bei unseren Analysen nicht nachvollziehbar. Im Gegenteil: Landwirten, die tatsächlich in finanziellen Nöten sind, und die gibt es in der Tat viele, helfen die Direktzahlungen nicht, da das Geld hier einfach nicht ankommt. Die Zahlungen sind an die Flächengröße gekoppelt, was immer weniger Großbetriebe statt viele Kleinbetriebe fördert. 80 Prozent der Gelder bekommen 20 Prozent der Betriebe (oder noch schlimmer: 32 Prozent der Zahlungen bekommen 1,5 Prozent der Betriebe). Dadurch haben sich die Pachtkosten mittlerweile um 30 bis 50 Prozent erhöht, was zeigt, dass ein Großteil davon in die Taschen der Landeigner fließt, die oft nicht einmal Landwirte sind. Der wesentliche Effekt der Direktzahlungen ist also, Grundstücke mit Steuergeldern zu finanzieren und nicht, notdürftigen Bauern zu helfen.
NeFo: Nehmen wir das Ziel des Greenings heraus: Welche Verbesserungen konnte die GAP seit Einführung des Greenings für die biologische Vielfalt erzielen?
Pe'er: Das Greening kann man nicht als wirkliche Verbesserung bezeichnen. Schätzungsweise 99 Prozent der Landwirte mussten gar nichts ändern, um die Anforderungen zu erfüllen, und die Fruchtfolgemaßnahme eröffnete ihnen sogar die Möglichkeit, ihre Zahl verschiedener Fruchtarten sogar noch zu reduzieren. Gleichzeitig wurden die Zahlungen für Agrarumweltmaßnahmen reduziert.
Allerdings gibt es zwei kleine Ausnahmen: Zum einen gibt es etwas mehr Brachland in Deutschland, auch wenn auch immer noch wesentlich weniger als vor 15 bis 20 Jahren. Außerdem werden mehr Stickstoff bindende Pflanzen angebaut. Zusammen mit dem neuen Pestizidverbot für ökologische Vorrangflächen könnten diese Landstücke einigen Arten helfen.
Da das Greening sich aber auf große Flächen bezieht, könnten schon kleine Anpassungen große Verbesserungen bringen. Würde die EU etwa ihre Priorität auf Erhaltung und Aufbau von Landschaftsstrukturen, Pufferstreifen oder Brachen legen, und die Greening-Zahlungen, statt an Einzelbetriebe, auf Landschaftsebene koordinieren und an Agrar-Kooperationen vergeben, , könnten beispielsweise wichtige Verbindungskorridore für Tiere zwischen den Lebensräumen entstehen.
NeFo: Sie haben nun das aktuelle Konzept der EU-Kommission “future of food and farmingâ€, das die Leitlinien der nächsten GAP-Phase beinhaltet, mit den Ergebnissen Ihres Fitness-Checks verglichen. Versprechen die neuen politischen Leitlinien hier denn Verbesserung?
Pe'er: Einige Verbesserungen sind sichtbar. Zum einen bekennt sich die EU hier explizit zu Umweltschutz und Nachhaltigkeit und sogar, wenn auch nur vorsichtig, zum Versagen der bisherigen GAP bzgl. der Umweltziele. Die so genannte Grüne Infrastruktur der GAP soll komplett neu diskutiert werden, was die Möglichkeit eröffnet, die sich gegenseitig behindernden Instrumente besser anzupassen. Drüber hinaus erkennt die EU die starke soziale Rolle der GAP an - auch beim Schutz der Verbraucher über die gesamte Produktionskette hinweg, nicht nur an der Stelle der Landwirte.
Allerdings gibt es auch genügend Hinweise zur Beunruhigung. Aus den schönen Worten lässt sich auch die starke Tendenz zu einem „Weiter-wie-bisher“ herauslesen. So fallen auffällig häufig die Worte „fortführen“ und „erhalten“, was suggeriert, dass man offenbar der Meinung ist, die GAP sei grundsätzlich richtig so. Außerdem behauptet die EU-Kommission, dass der EU-Landwirtschaftssektor dank der GAP in der Lage sei, die Bedürfnisse bezüglich Nahrungssicherung, gesundheitliche Sicherheit, Qualität und Nachhaltigkeit zu erfüllen, wo dies ja genau nicht der Fall ist.
Außerdem erzählt man uns nach wie vor, dass Direktzahlungen notwendig sind, da die Einkommen der Landwirte unter dem Durchschnitt lägen. Tatsächlich täuscht die EU hier die Öffentlichkeit, da sie hierfür falsche Indikatoren nutzen. Mehrere Studien zeigen, dass bei der Berechnung die verschiedenen Einkommensquellen des gesamten Betriebs-Haushalts, also auch die Einnahmen des Partners oder solche aus anderen nicht-landwirtschaftlichen Aktivitäten oder Vermögen, berücksichtigt und mit den tatsächlichen Kosten verglichen werden müssen. Letzendlich waren Direktzahlungen nicht mehr als eine temporäre Lösung nach beträchtlichen Preissenkungen in der GAP-Periode nach den GAP-Reformen von 1992- und 2000- gedacht. Mit der Zeit vergisst man, dass es auch andere Formen von Finanzhilfen gibt.
Was die Umweltauswirkungen durch den Verbraucher betrifft, erkenne ich keine Zeichen, wie die EU hier Verbesserungen bringen möchte. Der Klimawandel wird im Dokument 43 genannt, ohne darzustellen, dass es in der GAP kaum ein Instrument gibt, um die Hauptemissionsquellen zu verringern. Und geht es um Konsumenten, spricht man von neuen Ansätzen der Schulspeisung, was nun wirklich einem marginalen Teil des GAP-Budgets entspricht. . Ist das alles, was die EU-Kommission zur Bekämpfung der größten gesellschaftlichen Probleme wie Lebensmittelverschwendung, Übergewicht, Fettleibigkeit und die dadurch resultierenden Gesundheitsprobleme zu tun gedenkt? Probleme, die im Übrigen zu nicht unerheblichem Teil auf unsinnige Subventionen für bspw. billiges Fleisch zurückzuführen sind.
Die Aussage der EU, die GAP repräsentiere die Erwartungen der Bevölkerung, ist schlicht falsch. Unsere Analysen haben ergeben, dass sowohl Landwirte als auch die Öffentlichkeit mehr Investitionen in ländliche Räume und öffentliche Leistungen. 70 Prozent Direktzahlungen spiegeln das jedenfalls nicht wider. Am besten wäre dies durch die Aufstockung der Budgets für Agrarumweltmaßnahmen zu erreichen. Stattdessen schlägt die EU Risikoversicherungen vor, und damit die Öffnung einer weiteren privatwirtschaftlichen Tasche für öffentliche Gelder.
Unser Fazit zu den neuen Vorschlägen lautet also: Eher das alte Gespenst im neuen Gewand als ein echter Ansatz für Neuerung.
NeFo: Gibt es einen Hebel in der EU-Agrarpolitik, mit dem auf einen Schlag eine maximale Verbesserung für die ökologischen Funktionen und die biologische Vielfalt zu erreichen wäre?
Pe'er: Ja, den gibt es: Evidenzbasierte Politik. 70 Prozent der von uns evaluierten Literatur beschäftigten sich mit der Frage, wie Biodiversität und Ökosystemleistungen im Agrarland am besten geschützt werden könnten. Das Wissen wird in der Politik aber nicht genutzt. Bei der Entwicklung der Greening-Instrumente etwa wurden die langjährigen Erfahrungen aus den Agrarumweltmaßnahmen und welche am erfolgreichsten waren, einfach ignoriert. Diese sind im Wesentlichen Landschaftselemente, Pufferstreifen und Brachland. Alle anderen führen kaum zu den gesetzten Zielen.
Das würde die ganze Förderstruktur auch wesentlich vereinfachen, ein oft genannter Wunsch der EU-Kommission. Würde man die Subventionen dann nach dem Grad der öffentlichen Interessen staffeln, käme dies der Erhaltung der Ökosystemfunktionen noch mehr zugute. Und würde man die Landwirte, statt auf eine bestimmte Zahl von wie bisher zwei bis drei Fruchtarten festzulegen, für eine Maximierung der Fruchtfolge belohnen, würde das sicherlich auch bald unsere Landschaft bereichern. Außerdem braucht die GAP eine räumliche Planung. Gemeinschaftliche Umsetzung von Landwirten, die bspw. durch Auktionen gelenkt würden, wäre hier ein vielversprechender Ansatz.
NeFo: Sehen Sie in der aktuellen Koalitionsvertragsvorlage Potenzial für einen grundlegenden Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit und Naturschutz im Agrarland?
Pe'er: Unsere Studie zeigt ja besonders die sozialen und ökonomischen Schwächen der GAP auf: Der größte Teil der Landwirte bekommt nicht die finanzielle Beihilfe, die ihnen eigentlich zustünde, und die Bevölkerung, die dieses Geld bereitstellt, bekommt auch nicht was ihr zustünde: Leistungen im öffentlichen Interesse wie eine lebenswerte Umwelt und qualitativ hochwertige Nahrungsmittel.
Die Notwendigkeit zu mehr Umweltschutz wird im Koalitionsvertrag gut reflektiert, was ich durchaus positiv sehe. Doch die Aussagen zu sozialen und ökonomischen Fehlläufen der GAP im Vorfeld führten offenbar nicht zu einer klaren Aussage, die GAP grundlegend reformieren zu wollen. Kleinere Anpassungen, bei denen die Ungleichverteilung der Subventionen bestehen bleibt, werden die GAP nicht effektiver und effizienter machen. Was wir brauchen, ist ein klares Bekenntnis zu einem gesamtgesellschaftlichen Ziel der GAP. „Nachhaltigkeit“ könnte dies Ziel heißen. Es hat drei Dimensionen: die soziale, ökonomische und die Umweltdimension. Wenn alle drei erfüllt würden, wäre Kohärenz vorprogrammiert, und vermutlich auch öffentliche Akzeptanz.
Das Interview führte Sebastian Tilch
Weitere Informationen:
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