Sie befinden sich hier:
Startseite->Artikel->Rio São Francisco: Mehr Wasser für Shrimps und Monokulturen - weniger Wasser für Fische, Fischer und Indianer

Rio São Francisco: Mehr Wasser für Shrimps und Monokulturen - weniger Wasser für Fische, Fischer und Indianer

Die brasilianische Umweltschutzbehörde IBAMA hat Anfang März die Teilumleitung des Rio São Francisco genehmigt. Die jüngsten Proteste von Kleinbauern, Ureinwohnern, traditionellen Fischern und Bürgerinitiativen in der Hauptstadt, Dutzende von Artikeln von brasilianischen Soziologen und Geographen, der Hungerstreik des Bischofs Dom Frei Luiz Flávio Cappio vor eineinhalb Jahren: nichts half. Mit der IBAMA-Genehmigung in der Tasche kann die Regierung Lula da Silva nun mit den ersten Bauarbeiten zur Realisierung eines pharaonenhafte Projektes beginnen, das, so die Kritiker, Brasiliens größten im eigenen Land entspringenden Fluss und das Leben von Tausenden Menschen im ländlichen Nordosten ruiniere werde.

Die ersten Gelder, über 150 Millionen Euro, hat die Regierung bereits für die so genannte Transposição des São Francisco bereitgestellt. Insgesamt werde das „Pharaonendenkmal“ Lulas in Form von insgesamt rund 700 Kilometer langen Kanalbauten bis 2010 über 2,2 Milliarden Euro verschlingen — bei nach Fertigstellung geschätzten 30 Millionen Euro Betriebskosten jährlich. Hauptprofiteure des „lügnerischen und ungerechten Projektes“, so der brasilianische Soziologe Ruben Siqueira: die extrem Wasser verbrauchende Stahlindustrie Fortalezas, die auf Export ausgerichteten Monokulturen der Fruchtproduzenten und die Mangroven abholzende Garnelenzuchtbranche des Nordostens sowie die Zucker- und Ethanolbarone in Pernambuco.

Die "Transposição" eröffne eine neue Agrarfront in Brasilien, erklärte der mit dem Projekt betreute Minister fuer nationale Integration, Rômulo de Macedo Vieira, anlässlich der IBAMA-Entscheidung. Der trockene "Sertão" im Nordosten könne nun ein brasilianisches "Kalifornien" werden, und bewässerungsintensive Agrarprodukte in alle Welt exportieren. Schon 2005 frohlockte der Präsident des Industrieverbandes der Zucker- und Alkoholproduzenten von Pernambuco, Renato Cunha, die Teilumleitung des auch "Alter Cico" genannten Flusses werde seinem Verband eine deutliche Ausweitung des Zuckerrohranbaus um bis zu 130.000 Hektar in Pernambuco und Bahia ermöglichen. Es gelte den neuen nationalen und internationalen Absatzmarkt für Bioalkohol als Treibstoff sowie als Rohstoff für die Biodieselherstellung aus Soja-, Palm-, und Rhizinusöl zu decken. Renato Cunha: Jeglicher Biodiesel benötige zur Herstellung auch Ethanol.

Es gebe aber noch weitere Profiteure des Kanalbauprojekts, ist sich der der Soziologe Ruben Siqueira sicher: "Die großen Geldgeber der Wahlkampagne Lulas. Die Baufirmen Votorantim und Gerdau." Beton- und Asphalt-Firmen, die garantiert einen Löwenanteil der Bauarbeiten übernehmen werden.

Obwohl Lula das Projekt mit dem Argument durchboxte, die arme Bevölkerung des Nordostens brauche dieses Wasser des Alten Cico, soll tatsächlich laut Regierungsplan das umgeleitete Wasser zu etwa 70 Prozent der Bewässerung von Monokulturen und zu 26 Prozent der Industrie sowie der Trinkwasserversorgung der Küstenstädte dienen. Nur vier Prozent sind offiziell für die ländliche Bevölkerung vorgesehen.

"Die trockendsten Regionen wie Crateús, Irauçuba werden nicht mal einen Hauch dieses Wassers abbekommen", kritisiert der Anwalt und Professor für Umweltrecht, João Alfredo Telles Melo. Gerade an denjenigen, die frisches Wasser am dringendsten benötigten, werde das Wasser des Alten Cico vorbeigeführt, kritisiert auch Roberto Malvezzi, nationaler Koordinator der Pastoralen Landkommission der katholischen Kirche (Comissão Pastoral da Terra — CPT).

Besonders scharf geht der Wissenschaftler João Suassuna von der Fundação Joaquim Nabuco mit der Regierung Lula ins Gericht. Bereits vor 12 Jahren, 1995, hätten Wissenschaftler erstmals vor der Umleitung des Alten Cico gewarnt. Seitdem hätten etliche Forscher wie der Geograph und emeritierte Professor Aziz Ab'Sáber von der Universität São Paulo auf ungezählten Konferenzen und in etlichen Studien, Artikeln und Gesprächen auf die negativen ökologischen wie sozialen Folgen des obendrein für die Volkswirtschaft ökonomisch wenig Sinn machenden Projekts hingewiesen — wie beispielsweise die Ausrottung von Fischarten, Umsiedlung von traditionellen am Fluss lebenden Bevölkerungsgruppen sowie mehreren Indianervölkern und damit unverantwortlicher Verlust von traditionellem Wissen, Bodenspekulation und damit einhergehende Vertreibung von Kleinbauern. Die verantwortlichen Politiker verhielten sich nach Meinung João Suassunas wie kleine Kinder, die einfach nicht hören wollen. Doch wer nicht hören will, muss fühlen. „Faltou Chinelo“, sagt er, was ins bayerische übersetzt nichts anderes bedeutet, als dass es höchste Zeit für eine Watschn mit dem Badeschlappen sei.

Auch das Komitee der Bacia Hidrográfica do Rio São Francisco (CBHSF) kritisiert die Entscheidung für die Teilumleitung des großen Flusses. Sie ignoriere andere, viel wichtigere Prioritäten, um die Wasserversorgung im trockenen Nordosten zu verbessern. Das Komitee zeigt sich darüber hinaus ebenso besorgt über den von der Atomlobby in Lulas Regierung geforderten Bau von zwei neuen Kernkraftwerken am São Francisco, um die wachsende Energienachfrage von Industrie und Großstädten im Nordosten zu lösen.

Wer die Diskussion um Lulas Mammutprojekt aus deutscher Sicht verfolgt, fühlt sich an Franz Josef Strauß’ Rhein-Main-Donau-Kanal und seine Atom-Energie-Pläne aus dem Hause Siemens — gleichfalls in Brasilien ein einflussreicher Konzern mit Sitz in München und São Paulo - erinnert. Genauso wie dieser bayerische Skandal-Kanal seinen Ursprung in königlichen Entwicklungsprojekten des 19. Jahrhunderts hatte, basiert Lulas Teilumleitung des São Francisco auf den Ideen von Kaiser Dom Pedro II aus dem Jahre 1847.

Norbert Suchanek

Journalist und Autor
Internet: www.norbertsuchanek.org
E-Mail: norbert.suchanek@online.de