Sie befinden sich hier:
Startseite->Artikel->Umweltmord durch Bioalkohol

Umweltmord durch Bioalkohol

Brasilien: Resignation und Protest im Pantanal.

Einer meiner ersten Artikel überhaupt, den ich veröffentlicht habe, handelte über das Thema alternative Treibstoffe. Er trug den Titel „Die Zukunft gehört dem Wasserstoff“ und erschien 1988 in der Deutschen Tagespost. Ich stehe noch heute im Wesentlichen hinter den Aussagen des Artikels, der an Aktualität bis heute nichts eingebüßt hat. Er zeigt die Vorteile von pflanzlichen Treibstoffen wie Rapsöl im Vergleich zu Erdöl auf, warnt aber gleichzeitig vor zuviel Euphorie. Denn ich hatte das negative Beispiel Brasilien vor Augen, wo schon in den 1980er Jahren die Regierung auf Teufel komm raus auf Alkohol — heut spricht man fälschlich von Bioalkohol - aus Zuckerrohr als Benzinersatz setzte. Während Menschen im Nordosten des Landes verhungerten, opferte die brasilianische Regierung die besten Böden und sogar Regenwaldgebiete dem Autofahren mit Ethanol. Wie aktuell mein nun schon 17 Jahre alter Artikel ist, zeigt der Tod des brasilianischen Journalisten und Umweltschützers Francisco Anselmo Gomes de Barros.

Der 65jährige, in Brasilien als „Francelmo“ bekannte Gründer einer der ältesten Naturschutzorganisationen des Landes, Fundacao para Conservacao de Natureza de Mato Grosso du Sul, verbrannte sich öffentlich aus Resignation und Protest gegen die weitere Zerstörung und Vergiftung von Brasiliens Naturressourcen durch Ausweitung des Zuckerrohranbaus und dem Bau noch weiterer Ethanolfabriken. Er sah in seinem schrecklichen Tod die einzige Chance den geplanten Bau von nicht weniger als 23 Bioalkoholfabriken im Wassereinzugsgebiet des Pantanal, des größten Feuchtgebiets der Erde, zu verhindern. 1982 noch hatte Francelmo im Verbund mit vielen anderen brasilianischen Umweltschutzorganisationen ein Gesetz durchsetzen können, dass die aufgrund ihrer giftigen Abwässer umweltschädlichen Ethanolfabriken nicht mehr im Bereich der rund 180.000 Quadratkilometer großen Süßwasserwildnis im Länderdreieck Brasilien, Bolivien und Paraguay errichtet werden dürften. Doch genau dieses, will der Gouverneur des brasilianischen Bundesstaates Mato Grosso kippen, um auch am Boom des „Biosprits“ für den Autoverkehr sowie für den Export zu profitieren.

Bereits heute ist Brasilien der weltweit größte Produzent von Ethanol. Seine Zuckerrohranbaufläche ist auf rund 5,7 Millionen Hektar angewachsen mit einer jährlichen Produktion von rund 15 Milliarden Liter Alkohol sowie 26,5 Millionen Tonnen Zucker, so die aktuellen Zahlen des brasilianischen Landwirtschaftsministeriums. Schon seit langem fahren Brasiliens Autos zu etwa 44 Prozent mit diesem in Europa nun als „Biotreibstoff“ propagierten Ethanol, der dort zum einen als reiner Alkohol oder als Benzin-Alkoholgemisch getankt werden kann. Rund 2,5 Milliarden Liter seiner Ethanolproduktion aus Zuckerrohr exportiert Brasilien bereits vor allem in die USA und nach Indien. Brasilien ist damit mit Abstand der weltweit größte Ethanolexporteur, analysiert die aktuelle Worldwatch Institute-Studie „Renewables 2005 — Global Status Report“. Und die brasilianischen Zucker- und Ethanolindustrie könnte und will noch viel mehr Ethanol exportieren - vor allem nach Europa, wenn es die EU zulässt. Schließlich könne Brasilien den „Biosprit“ um mehr als 50 Prozent billiger produzieren als die EU, so das Worldwatch Institute.

Diese globale Sichtweise ist bisher allerdings in der Diskussion um Biotreibstoffe bei uns in Deutschland noch zu kurz gekommen. Noch immer denken wir beim Thema Biodiesel oder Bioalkohol zuerst an unsere eigenen Bauern und Absatzchancen. Aber wir vergessen, dass wir in einer globalisierten Welt leben, in der am Ende nur noch der Preis zählt. Es ist naiv zu glauben, der künftige Biosprit aus der Tankstelle um die Ecke stamme von heimischen Bauern. Das ist zwar dank hoher Subventionen derzeit noch teilweise der Fall. Doch bereits jetzt ist ebenso Biodiesel aus Palmöl auf dem Markt — Palmöl aus der „Dritten Welt“, erzeugt mit unerträglichen sozialen und ökologischen Kosten wie der Vertreibung von lokalen Bevölkerungsgruppen, Regenwaldabholzung und Gewässervergiftung.

Das heißt nicht, dass man gegen den Anbau von nachwachsenden Rohstoffen generell sein sollte. Die Bauern weltweit bauen schon seit Jahrtausenden parallel zur Nahrung auch Rohstoffe an: Hanf und Flachs zum Beispiel oder Färberwaid. Es ist nur eine Frage des Wie und der Verhältnismäßigkeit. Unsere landwirtschaftlichen Nutzflächen sind nicht unendlich vermehrbar.

Schon seit dem ersten Bericht an den Club of Rome, „Die Grenzen des Wachstums“, 1972, wissen wir, dass der verschwenderische Ressourcenverbrauch so nicht weitergehen darf — will die Menschheit in ihrem Ökosystem Erde überleben. Und einer der größten Verbraucher ist nun mal der Individualverkehr. Das Auto für jeden, so das Worldwatch Institute, „führt nicht in ein zukunftsfähiges Jahrhundert.“

Es ist zu kurz gegriffen und der falsche Ansatz, wenn wir lediglich fossile Treibstoffe durch andere austauschen, aber trotzdem immer mehr Autos in die Welt setzen und immer mehr Lastwagen quer durch Europa schicken. Ressourcen- und Flächenverbrauch werden dadurch nicht geringer, die Luft nicht wirklich besser. Und die verstopften Straßen werden auch nicht leerer, nur weil die Tankstellen Palm- und Rapsöl, Ethanol, oder Biodiesel statt Benzin und Diesel verkaufen. Das gilt genauso für Wasserstoff-Autos. Auch sie sind — hier muss ich mich in meinem alten Artikel korrigieren - nicht die Lösung, sondern ebenso das Problem. Nicht zu letzt kommt es beim Wasserstoff als Energieträger darauf an, wie er hergestellt wird. Bisher stammt er zum überwiegenden Teil aus Kohle und nicht aus Solarstrom. Und die Gefahr ist groß, dass ein wirklich sauberer Wasserstoff weiterhin nur Wunschtraum von unverbesserlichen Umweltschützern bleibt. Schon rüttelt die Kernkraftlobby am rotgrünen „Atomausstieg“ auch mit dem Argument, dass sich Wasserstoff „preisgünstig“ mit Atomstrom produzieren ließe — und wenn nicht bei uns, dann in China, wo in den nächsten Jahren 40 neue Atomkraftwerke entstehen sollen.

In seinen verschiedenen Abschiedsbriefen an die Medien und befreundete Naturschützer schrieb der Umweltaktivist Francelmo: „In Brasilien sehen wir mit an, wie das Schiff sinkt, und niemand sagt etwas.“ Er habe sich selbst verbrannt, weil er es als den einzigen Weg ansah, die Leute wachzurütteln. Und tatsächlich hat seine schreckliche Selbstverbrennung nicht nur landesweit Schlagzeilen erzeugt. Elf Tage nach seinem Tod lehnte eine Regierungskommission den Bau der geplanten Ethanolfabriken im Becken des oberen Rio Paraguay ab. Das zum Teil als Unesco-Biosphärenreservat erklärte Pantanal mit seinem extremen Tierreichtum von rund 240 Fischarten, 70 Amphibien- und Reptilienarten, 650 Vogelarten sowie 80 großen Säugetierarten, die Serengeti Südamerikas, bleibt vom Biotreibstoffboom verschont — vorerst.