Unberührte Natur außerhalb jeglichen Einflusses menschlicher Zivilisation gibt es so gut wie nicht mehr. Die rasant wachsende menschliche Bevölkerung drängt immer mehr in ursprüngliche Gebiete vor und nutzt die Ressourcen der Natur. Meist nicht nachhaltig. „Nur 10 % der tropischen Regenwälder befinden sich in Schutzgebieten. Die reichen nicht aus, um die biologische Vielfalt in den Tropen zu erhalten", sagt der Tagungsleiter Chris Kettle von der ETH Zürich im NeFo-Interview. Vor allem aber gehen auch die vielfältigen Leistungen dieser Ökosysteme verloren, die die Menschen nutzen, wie etwa Buschfleisch, Brennholz oder Trinkwasser vor Ort, oder global die Regulation des Klimas sowie des Kohlenstoff- und Wasserhaushaltes.
„Um künftig widerstandsfähige tropische Ökosysteme sicherzustellen, die eine breite Palette von Leistungen bereitstellen, ist die Erhaltung der Artenvielfalt auf all ihren Ebenen unumgänglich", schreibt die GTÖ auf Ihrer Konferenzwebseite. Und zwar gerade in den genutzten Gebieten. Allerdings, so monieren die Leiter der ersten Session, konzentrierten sich ökologische Studien bisher auf unberührte Altbestands-Wälder, während die Dynamik der Waldwirtschaft in den Tropen weitgehend unerforscht bleibe.
Dieser Tatsache sieht die Gesellschaft bei ihrer diesjährigen Jahrestagung ins Auge, indem sie das Thema „Resilienz" in den Fokus rückt. „Wir müssen die Nutzung so gestalten, dass die Systeme widerstands- oder anpassungsfähig auch gegenüber unvorhergesehenen Störungen sind, wie etwa künftig vermehrt auftretenden Dürren", meint Chris Kettle. Denn dass menschliche Nutzung auch in den Biodiversitätshotspots der Tropen weiter zunimmt, ist unumgängliche Realität. Doch inzwischen zeigt sich, dass gegengesteuert werden muss, soll diese Nutzung dauerhaft zu menschlichem Wohlergehen beitragen. Hier ist zunehmend eine interdisziplinäre Forschung gefragt.
Robin Chazdon von der Universität Connecticut, die die Konferenz am Montag mit einem Keynote-Vortrag einleiten wird, spricht von einem neuen Paradigma: Widerstandsfähigkeit und Ökosystemverantwortung, das sogenannte Stewardship-Konzept. Auch diese Idee zeigt, dass das Bild vom undurchdringlichen und menschenfeindlichen Urwald veraltet ist. Das Schicksal des riesigen Schatzes an Artenvielfalt liegt in den Händen der Menschen.
Wie verantwortungsvolle Nutzung aussehen kann, zeigen verschiedene Beispiele, die auf der Tagung vorgestellt werden, etwa Bio-Kaffee-Produktion, FSC-zertifizierte Waldbewirtschaftung oder nach RSPO-Nachhaltigkeitskriterien produziertes Palmöl. Denn dass auch Ölpalmen nicht als Monokulturen angebaut werden sollten, zeigt Miriam Teuscher von der Universität Göttingen, die in Session 5 am Mittwoch erste Ergebnisse vorstellt. Auf Versuchsflächen auf Sumatra untersucht sie, ob mit zwischengepflanzten heimischen Baumarten die Vielfalt von Vögeln und Insekten erhöht werden kann. Dabei geht es nicht nur um die Wiederherstellung der Vielfalt an sich. Vögel könnten hier einen entscheidenden Beitrag zur Schädlingsbekämpfung leisten und Insektizide sparen.
Leider, so Chris Kettle, fänden solche Lösungen noch viel zu wenig Anwendung. Aber das sei das Potenzial von Wissenschaftlichen Gesellschaften wie der GTÖ: Der Politik ein umfassendes und glaubwürdiges Bild zu liefern und auf zukunftsfähige Lösungen hinzuweisen.
Zum Artikel von Sebastian Tilch und dem NeFo-Interview mit Tagungsleiter Chris Kettle
Über Netzwerk-Forum zur Biodiversitätsforschung Deutschland (NEFO)
Netzwerk-Forum zur Biodiversitätsforschung Deutschland (NEFO) ist eine Kommunikationsplattform für Wissenschaftler und Anwender von Wissen zur biologischen Vielfalt. Das Projekt wird im Rahmen von DIVERSITAS-Deutschland e.V. durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Ein wichtiges Ziel ist es, die Forschung unterschiedlicher Disziplinen, die sich mit gesellschaftlich relevanten Fragestellungen zur Biodiversität befasst, stärker ins öffentliche Licht zu stellen und mit aktuellen relevanten Politikprozessen zu vernetzen. Hierzu stellen wir direkte Ansprechpartner für Fragen aus Medien, Politik und Öffentlichkeit bereit, arbeiten aktuelle Themen auf und vermitteln Experten. Projektpartner sind das Museum für Naturkunde Berlin und das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ.
Weitere Informationen finden Sie unter: www.biodiversity.de