Nacheinander stellen die drei Arbeitsgruppen des Weltklimarats IPCC ihre Berichte über den Stand der Klimawissenschaft vor. Die Arbeitsgruppe I hat jetzt die Langfassung des Berichtes über die wissenschaftlichen Grundlagen vorgelegt. Michael Schulz, Direktor des Zentrums für Marine Umweltwissenschaften (MARUM) an der Universität Bremen und Professor für Geosystem-Modellierung, ist einer der beiden Hauptautoren des fünften Kapitels, in dem die Klimaverhältnisse in vergangenen erdgeschichtlichen Epochen dargestellt werden. Im Interview sagt er, dass es früher zwar schon wärmer war als heute — das sei aber kein Grund zur Beruhigung
Viele Medien schreiben gerade, das Klima habe sich in den letzten 15 Jahren nicht weiter erwärmt. Was sagen Sie dazu?
Michael Schulz: Als Geowissenschaftler habe ich gelernt, längere Zeitskalen anzuschauen. Dann wird klar, dass die Temperaturen global eindeutig steigen, auch wenn die Erhöhung mal ein, zwei Dekaden nicht so stark ausfällt. Der jüngste Bericht des Weltklimarates zeigt, dass wir mittlerweile ein gutes Verständnis dafür haben, wo die Wärme geblieben ist. Wir sehen, dass sich die Energie in den Ozeanen verteilt hat.
Das heißt, die Erde hat sich erwärmt, nur die Atmosphäre weniger als erwartet?
Richtig, da hat offenbar ein Transfer von Energie in die Ozeane stattgefunden. Ehrlicherweise muss man aber auch sagen, dass wir noch keine optimale Datenbasis haben. Vor allem aus den tiefen Ozeanen gibt es noch zu wenige Messungen. Aber wir haben ein physikalisch konsistentes Bild und wissen, wo die Wärme hin ist. Die in der Wissenschaft lebhaft diskutierte Frage ist: Wie genau nimmt der Ozean die Wärme auf? Und wie werden sich die zugrundeliegenden Prozesse in der Zukunft möglicherweise verändern?
Im neuen IPCC-Bericht heißt es, es sei „eine Tatsache“, dass die Konzentration der Klimagase CO2, Methan und Stickstoffoxid in der Atmosphäre so hoch sei wie seit 800.000 Jahren nicht mehr. Wie können Sie so sicher sein, dass Sie von einer „Tatsache“ sprechen?
Weil wir die Luft dieser Zeitspanne wirklich messen können. Im Eisschild der Antarktis ist Luft eingeschlossen, die so alt ist. Wir können in das Eis hineinbohren und die Zusammensetzung dieser konservierten Atmosphäre aus der erdgeschichtlichen Vergangenheit messen. Für Zeiten, die älter als circa 800.000 Jahre zurück liegen, lässt sich der CO2-Gehalt der Atmosphäre beispielsweise aus bestimmten marinen Fossilien rekonstruieren. Wir können mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass vor circa drei Millionen Jahren die CO2-Konzentration zwischen 350 und 450 millionstel Volumenanteilen in der Atmosphäre betrug (Anm. d. Redaktion: 450 ppmv, parts per million by volume). Diese Konzentration ist vergleichbar mit dem heutigen Wert von circa 396 ppmv. Ein Blick in die geologische Vergangenheit ermöglicht es, die Auswirkungen solch hoher CO2-Konzentrationen besser zu verstehen.
Auf was müssen wir uns vorbereiten?
Die Erde erwärmte sich damals nicht gleichmäßig. Das Land erwärmte sich im Durchschnitt stärker als die Ozeane und die Polarregionen stärker als die Gebiete um den Äquator. Das können wir anhand von Rekonstruktionen feststellen und dieser Befund deckt sich mit dem, was momentan auf der Erde zu beobachten ist. Die verstärkte Erwärmung der Polarregionen hat eine wichtige Folge: Hier kann sich ein selbst verstärkender Erwärmungseffekt entwickeln, weil durch das schmelzen des Meereis mehr Wärmestrahlung durch den Ozean aufgenommen wird und weniger Strahlung von der Erdoberfläche reflektiert wird.
Was heißt das für den Meeresspiegel?
Der ist damals auf jeden Fall höher gewesen als heute — maximal sogar zwanzig Meter höher. Diese Zahl ist allerdings nicht ohne weiteres auf die jetzige Situation übertragbar. Der Meeresspiegel erreicht im Vergleich zur Temperatur seinen Höchststand nämlich verzögert. Wenn es binnen 100 Jahren zwei Grad wärmer wird, dann braucht der Meeresspiegel deutlich mehr Zeit, um sein Maximum zu erreichen. Dies liegt daran, dass die Eisschilde nicht so schnell schmelzen können. Hierfür sind wohl eher einige tausend Jahre erforderlich. Allerdings können wir aus der Vergangenheit lernen, dass es einen Kipppunkt gibt. Wird dieser überschritten, schmilzt ein Eisschild ab, auch wenn sich die Erde im Durchschnitt wieder abkühlt. Wir wissen aber nicht genau, wo dieser Kipppunkt liegt. Allerdings fällt er wahrscheinlich in den Bereich, den wir im nächsten Jahrhundert an Klimaerwärmung erreichen.
Offenbar variierten die Temperaturen in der Erdgeschichte enorm. Worin liegt der Unterschied zur momentanen Erwärmung?
Es ist die Geschwindigkeit. Eine derart schnelle globale Erwärmung konnten wir in unseren erdgeschichtlichen Daten nicht finden. Die Erde hat zwar auch schon deutlich höhere CO2-Konzentrationen erlebt. Deren geologische Ursachen scheiden aber aus, um den heutigen Anstieg zu erklären - es bleibt als Ursache nur der Mensch. Das werden nicht einmal Klimaleugner abstreiten. Selbst wenn wir alle natürlichen Faktoren für eine Klimaerwärmung einbeziehen, die Sonne etwa, dann kommen wir immer noch nicht auf den Temperaturanstieg den wir seit Beginn der Industrialisierung beobachten. Wir können deshalb mit Sicherheit sagen: Menschliches Handeln ist die Ursache der Erwärmung.
Der IPCC schreibt, dass es mit großer Sicherheit in den Jahren 950 bis 1250 nach Christus in manchen Regionen so warm war wie heute. Können wir uns also zurücklehnen?
Das waren rein regionale Gegebenheiten während der sogenannten mittelalterlichen Wärmeperiode. Damals war es auf den Kontinenten zu unterschiedlichen Zeiten wärmer, nie gleichzeitig. Der jetzige Anstieg passiert weltweit.
Schafft es der IPCC, mit dem neuen Bericht mehr Gehör zu finden?
Die politische Wahrnehmung hängt nach meiner Einschätzung maßgeblich vom Bericht der Arbeitsgruppe drei ab, der im April 2014 veröffentlicht wird. Darin werden Wege aufgezeigt, wie der Klimawandel gesteuert werden kann. Was unsere Arbeitsgruppe erarbeitet hat, ist im Prinzip: Wir sind uns nicht mehr zu 90 Prozent sicher, dass der Mensch das Klima erwärmt, sondern zu 95 Prozent. Das Wissen darum wird größer und robuster. Die naturwissenschaftlichen Grundlagen für den Klimawandel sind faktisch nicht zu leugnen.
Haben Sie vielleicht noch eine gute Nachricht?
Ja. Wir können die Erwärmung auf ca. 2°C begrenzen. Ein entsprechendes Szenario wurde erstmals von Arbeitsgruppe I untersucht. Aber das Szenario beinhaltet, dass wir die Treibhausgasemissionen in den kommenden ein bis zwei Dekaden massiv reduzieren und in einigen Dekaden damit beginnen, CO2 aktiv aus der Atmosphäre zu entfernen. Davon sind wir gegenwärtig sehr weit entfernt. Die zweite wichtige Aussage ist, dass es einen fast geradlinigen Zusammenhang gibt zwischen der Menge an Klimagasen, die wir ausstoßen, und der Temperatur, die wir zum Ende dieses Jahrhunderts erreichen werden.
Quelle: „Rat für Nachhaltige Entwicklung“, www.nachhaltigkeitsrat.de.