Frage: Im vergangenen Jahr hat der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) zusammen mit der Deutschen Börse den Hub for Sustainable Finance ins Leben gerufen. Akteure aus den verschiedensten Handlungsfeldern und mit unterschiedlichen Interessenlagen sitzen an einem Tisch, um ein nachhaltiges Finanzsystem umzusetzen. Wie gelingt es, sich auf gemeinsame Ziele zu verständigen?
Günther Bachmann: Es gibt keine Garantie, dass so etwas klappt. Allerdings klappt es garantiert auf keinen Fall, wenn jeder weiter alleine vor sich hinarbeitet. Mit der Deutschen Börse haben wir einen ersten Versuch unternommen, ein Gespräch zur Zukunft des Finanzsektors und der Nachhaltigkeit zu führen. Wir haben mit einem Thesenpapier begonnen, mit zehn kurzen Thesen, die beide Seiten der Medaille betreffen, Politik wie Finanzwirtschaft. Auf beiden Seiten wollen wir Routinen verändern. Damit stehen wir ganz am Anfang eines Prozesses.
Herr von Flotow, was halten Sie von dem Prozess, der da angestoßen wurde?
Paschen von Flotow: Ich und viele andere sind dankbar für die Initiative des RNE, einen solchen Multi-Stakeholder-Prozess anzustoßen. Aber ich würde bezweifeln, ob es dabei, wie Sie in Ihrer Frage formuliert haben, am Ende um einen “Tisch” geht, an dem alle sitzen. Derzeit ist das ein “Hub” von einigen Akteuren des Finanzsektors und des RNE, und die Frage, welche weiteren Akteure an den Tisch gehören, ist offen: wie die Zivilgesellschaft, vertreten durch NGOs, die Realwirtschaft, Arbeitnehmer, Wissenschaften, und last but not least, Betroffene aus Schwellen- und Entwicklungsländern in den Prozess mit eingebunden werden. Für mich ist der Hub for Sustainable Finance ein wunderbarer Start, ein Anstoß, ein offener Prozess – bei dem eben noch einige Fragen offen sind.
Günther Bachmann: Da haben Sie Recht, einen so großen Tisch, um alle ranzukriegen, die mitreden müssen, gibt es gar nicht. Wir haben uns lange überlegt, wie wir die Initiative nennen wollen. Der Begriff des Hubs unterstellt, dass man von außen andocken kann. Wir wollen eben gerade kein Netzwerk sein, das nur nach innen Strukturen und Strahlkraft entwickelt.
Paschen von Flotow: Wenn also ein Hub bewusst kein großer Tisch für viele Stakeholder ist, dann ist es wichtig, diese Andockstellen sichtbar zu machen. Sonst läuft der Hub Gefahr, ein selbstreferentieller Kreis zu werden, der keine Außenspiegelung erfährt und deswegen vielleicht die erforderliche Dynamik vermissen lässt.
Welche Sollbruchstellen in der Kommunikation können einen solchen Prozess gefährden?
Paschen von Flotow: Ich halte es für wichtig, den Begriff des “nachhaltigen Finanzsystems” zu klären. Viele verstehen darunter, gerade nach der Finanzkrise, Stabilität und die Vermeidung von Risiken, die sich inhärent aus dem Finanzsektor ergeben. Aber bei “Sustainable Finance” geht es zum Beispiel um die Frage, wie der Kapitalmarkt die Folgen von Klimawandel und Menschenrechtsverletzungen berücksichtigt, ganz unabhängig davon, ob diese Folgen den Finanzsektor selbst destabilisieren. Die Kosten des Klimawandels sind ja aus der Perspektive des einzelnen Investors weitgehend externalisiert; die Kosten tragen die betroffenen Menschen, auch die Versicherungswirtschaft trägt ja nur einen geringen Teil dieser Kosten beziehungsweise Risiken. Die Internalisierung dieser Risiken und Kosten erfordert politische Rahmenbedingungen auf der Ebene der Realwirtschaft. Das muss man ansprechen, sonst sehe ich das Risiko, dass der Finanzsektor den Begriff so definiert, dass er ein in sich geschlossenes System bildet – und viele Diskrepanzen, die sich aus einem Außenblick ergeben, blieben außen vor.
Wie weit ist Deutschland in Sachen Nachhaltigkeit im Finanzsektor im Vergleich mit anderen europäischen Staaten?
Paschen von Flotow: In Deutschland haben wir kaum kapitalgedeckte Pensionsfonds, Altersvorsorge läuft bei uns anders als im angelsächsischen System und in einigen weiteren Ländern. Das ist einer der wichtigsten Gründe dafür, warum die Sustainable Finance-Agenda von anderen dominiert wird: weil sie mit den großen Pensionsfonds ganz andere Player auf dem Markt haben. Betrachtet man allerdings die Realwirtschaft, dann erkennt man, dass Deutschland einen ganz erheblichen Beitrag zum Wandel und seiner Finanzierung – zum Beispiel zur Entwicklung des Marktes für erneuerbare Energien – geleistet hat. Und daran hat sich der Finanzsektor in Deutschland beteiligt. Aber einen echten Mangel sehe ich, wenn es darum geht, die früheren Phase von Innovationen zu finanzieren, etwa durch Venture Capital und Private Equity für – zum Beispiel – CleanTech. Der Fokus auf die Finanzierung von innovativen Technologien gehört meines Erachtens in die Sustainable-Finance-Agenda hinein.
Günther Bachmann: Der Blick auf Start-ups und CleanTech ist mir noch zu eng. Es geht doch um den deutschen Industriestandort insgesamt. Wir haben hier Industriebereiche, die eine ganz komplexe Wertschöpfungskette haben – Wertschöpfungskette trifft es nicht, das sind ganze Wertschöpfungsuniversen. Und diese hohe Komplexität finde ich in den Ansätzen der EU nicht wieder. Was die derzeit machen, ist Klimafinanzierung und ein bisschen Recycling. Aber was wir am Industriestandort Deutschland machen, sind hochkomplexe, servicegebundene Anlagen zu nachhaltiger Produktion, die sich diesem einfachen Kettengedanken entziehen. Deshalb ist es auch eine Gestaltungsaufgabe, auf die wir hinweisen müssen, dass die deutsche Wirtschaft komplexer ist und an diesen Prozessen zur Finanzierung beteiligt werden muss. Ich sehe auch Ihren Punkt, Herr von Flotow, was CleanTech angeht – ich sage aber, die Dynamik des Green Techs kommt aus der großen Industrie. Diese Dynamik und die Nachhaltigkeit insgesamt erfordern von der Finanzindustrie ziemlich grundlegend neue Überlegungen und Lösungsansätze.
Wie könnte das konkret aussehen?
Günther Bachmann: Die Kommission ruft derzeit Experten zusammen, die die so genannte Taxonomie klären müssen, also was nachhaltiges Investment ist und was nicht. Die Kriterien, die die Kommission dabei vorgegeben hat, sind Klimaschutz, erneuerbare Energien, ein bisschen Recycling, und ansonsten die Vermeidung von Umweltverschmutzung. Im Wesentlichen handelt es sich um eine Klimafinanzierungs-Agenda. Dagegen habe ich auch nichts, das ist wichtig. Aber: Wenn man sich die Textilbranche anschaut, wenn man nach Afrika schaut, oder wenn man über Plastik nachdenkt, dann sehe ich ganz viele Aufgaben, die von diesem Ansatz nicht betroffen sind. Deswegen sage ich: Da fehlt der Europäischen Union eine Klassifikation, die praktikabel und wirtschaftsnah genug ist, um die großen Transformationen dieser Welt auch wirklich in den Finanzierungsrahmen reinzubekommen. Wenn man nur Klimafinanzierung macht, macht man sich einen schmalen Fuß.
Immer wieder wird die Rolle des Verbrauchers als wichtige Einflussgröße betont, um den Markt zu verändern. Wird dessen Macht nicht überbewertet, müssen die wahren Veränderungen nicht von den institutionellen Akteuren ausgehen?
Paschen von Flotow: Der Begriff des „Verbrauchers“ ist ja ein schrecklicher Begriff. Wir benutzen ihn alle, aber er entwürdigt den, um den es geht. Es geht hier um den Bürger in seinen verschiedenen Rollen. Im Moment ist die Diskussion um Sustainable Finance eine Black Box für den Bürger, es ist ein Expertengespräch auf einer hochabstrakten Ebene. Das transparent zu machen, ist eine wichtige Aufgabe, die auf der Agenda steht.
Günther Bachmann: Es stört mich, dass der Verbraucher immer entweder als Letztentscheider hochgejubelt oder als armes Häschen in die Grube versenkt wird. Ethik im Sinne von nachhaltigem Konsumieren und Produzieren ist nicht teilbar. Es gibt Fragen, die kann der Verbraucher gar nicht entscheiden, sagen wir, zur Produktion von Batteriezellen. Das muss eine Elitenentscheidung bleiben, eine politische, eine wirtschaftliche. Aber nachhaltige Geldanlage etwa gehört zu Dingen, bei denen direkt am Markt Transparenz für den Verbraucher hergestellt wird. Man muss immer genau abwägen: den Verbraucher nicht entlasten, aber ihm auch nicht zu viel zumuten.
Sehen Sie Veränderung im Verbraucherverhalten?
Günther Bachmann: Doch, es bewegt sich in den vergangenen Jahren auf Nachhaltigkeit zu. Klar, es könnte mehr sein, aber wir sehen Bewegung. Dazu gehört aber auch, dass der Staat sich seiner Aufgabe stellt: Er darf sich nicht zurückziehen und bei Verbraucherfragen nicht eingreifen. Ich bin im Gegenteil der Meinung, da muss von staatlicher Seite eingegriffen werden, da kann gestaltet werden, durch Transparenz, Offenheit und Ermutigung von anderen Verbrauchsmustern bis hin zur Sharing Economy. Aber auf politischer Seite müssen noch viele Lerneffekte erzielt werden, bis man zu einer nachhaltigen Verbraucherpolitik kommt.
Immer wieder wird gesagt, dass es auch wirtschaftlich gesehen auf lange Sicht Sinn ergibt, nachhaltig anzulegen – dass langfristigen Erfolg nur derjenige haben kann, der nachhaltig wirtschaftet. Ist diese Logik für Finanzmarktakteure überhaupt nachvollziehbar, über das Lippenbekenntnis hinaus?
Günther Bachmann: Ich werde niemanden auf der Welt mit einem reinen Profitversprechen von nachhaltiger Entwicklung überzeugen. Das ist ein normatives, ein ethisches Konzept, und wenn man damit auch Geld verdienen kann: wunderbar. Aber das darf nicht das ausschließliche oder entscheidende Kriterium sein. Unser Leitmotiv kann doch nicht sein, dass man sich ein paar Zahlen zur finanziellen Performance zurecht rechnet. Die Frage lautet vielmehr: Wie können wir diesen Planeten mit neun Milliarden Menschen lebensfähig halten?
Paschen von Flotow: Sie haben am Anfang unseres Gesprächs gesagt, es gehe darum, neue Routinen zu entwickeln. Dafür braucht es Diskussionsraum und auch Investoren. Am Anfang ist so etwas immer schwierig. Aber wenn der Hub dieses Ziel im Auge behält, dann ist viel gewonnen. Es geht eben gerade nicht darum, nur einen neuen Standard zu entwickeln, der dann unverändert für die Zukunft gilt, sondern es geht darum, immer wieder Dynamik entstehen zu lassen, den Prozess am Laufen zu halten und neue Kompetenzen zu entwickeln. Wir dürfen trotz allem nicht vergessen: Der Innovationsprozess der letzten zwanzig Jahre zeigt, dass die Integration von ökologischen, ethischen und sozialen Kriterien (ESG-Kriterien) in die Investitionsentscheidungen etwas auslöst, zumindest ein Nachdenken in den Unternehmen und innerhalb des Finanzsektors. Es ist wichtig, das weiter voranzutreiben. Und dazu ist eine starke zivilgesellschaftliche Beteiligung erforderlich.
Das Gespräch moderierte Carolyn Braun.
Günther Bachmann
Günther Bachmann ist Generalsekretär des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE) und koordiniert dessen Arbeit. Der promovierte Landschaftsplaner hat zuvor das Fachgebiet Bodenschutz im Umweltbundesamt geleitet. Er ist Vorsitzender der Jury des Deutschen Nachhaltigkeitspreises sowie des Next Economy Awards. Seine Honorarprofessur hat ihm die Leuphana Universität Lüneburg verliehen. In wissenschaftlichen Beiräten, Stiftungen und in internationalen Netzwerken sowie als in seiner Funktion als RNE-Generalsekretär treibt er mit Impulsen und Initiativen das Nachhaltigkeitsdenken in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft voran.
Paschen von Flotow
Paschen von Flotow ist Geschäftsführender Vorsitzender des Sustainable Business Institute (SBI). Er hat in Freiburg, Köln und St. Gallen Volkswirtschaftslehre und Philosophie studiert und an der Hochschule St. Gallen über Geld- und Wachstumstheorie (Georg Simmels „Philosophie des Geldes“, Suhrkamp 1995) promoviert. Seit 1987 setzt er sich für nachhaltiges Wirtschaften ein und forscht und berät dabei unter anderem zu Themen des nachhaltigen Wirtschaftens im Finanzsektor. Er hat eine Reihe von Nicht-Regierungsorganisationen im Bereich des nachhaltigen Wirtschaftens initiiert und unterstützt und ist Herausgeber der Plattform www.nachhaltiges-investment.org. Von 2015 bis 2018 war Paschen von Flotow Mitglied des Vorstands des Deutschen Netzwerks für Wirtschaftsethik (DNWE).
Weiterführende Links
- Thesen der Mitglieder des Steuerungskreises des Hub for Sustainable Finance für eine nachhaltige Finanzwirtschaft in Deutschland (PDF)
- Webseite des Hub for Sustainable Finance (H4SF)
Quelle: „Rat für Nachhaltige Entwicklung“, www.nachhaltigkeitsrat.de.