Anders als andere Unternehmer dürfen sich Landwirte und artverwandte Berufe ihre Krankenversicherung nicht frei aussuchen. Sie werden vom Staat als "schutzbedürftig" angesehen und dürfen sich weder privat noch in einer Kasse ihrer Wahl gesetzlich versichern. Sie müssen in die Landwirtschaftliche Krankenkasse einzahlen. Ein staatliches Rentensystem, die Landwirtschaftliche Alterskasse, müssen sie ebenfalls finanzieren. Hierfür sind in der Regel rund 200 Euro pro Monat fällig. Eine private Altersvorsorge - bei Unternehmern üblich - schützt nicht vor dieser Versicherungspflicht. Und als würde diese Regelung noch nicht zu stark in das Betriebs- und Privatleben eingreifen, müssen Ehepartner, die keinen anderen Hauptberuf haben, seit 1995 ebenfalls in dieses System einzahlen. Wie ein Spiegelbild der deutschen Sozialversicherung existiert ein Paralleluniversum "Landwirtschaftliche Sozialversicherung" aus drei Dachverbänden - mit je neun autonomen Unterorganisationen - für Krankenversicherung, Rente und Unfallschutz, das mit 6.200 Mitarbeitern zwangsweise die Belange von Landwirten, Binnenfischern, Imkern und Gärtnern abdeckt. Gegen ihren Willen müssen dort Unternehmer ihre Altervorsorge und Krankenversicherung verwalten lassen - mit teilweise drastischen wirtschaftlichen Auswirkungen.
Das Verhältnis zwischen den Rentenbeiträgen, die ein Versicherungspflichtiger einzahlen muss, und den Rentenleistungen, die er erhalten wird, ist absolut inakzeptabel: 40 Jahre lang zahlt man 198 Euro ein, also insgesamt 95.040 Euro. Mit einer moderaten Verzinsung wären hieraus 200.000 Euro geworden. Ein Rentner erhält aber nur 450 Euro pro Monat. Bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 75 Jahren sind dies 54.000 Euro - also knapp ein Viertel dessen, was man bei eigener Geldanlage herausbekommen hätte." Albert Münz, Pressesprecher des Dachverbands der LSV, betont jedoch: "Dass sie weniger herausbekommen als Sie bei eigener Verzinsung bekommen hätten, ist ein allgemeines Problem des Rentensystems. Bei der LSV gibt es aber 10 Prozent mehr als bei der Deutschen Rentenversicherung.
Sozialbürokratie wächst
Schaut man hinter die Kulissen der Landwirtschaftlichen Sozialversicherung, offenbart sich eine üppig wuchernde Behördenstruktur, die massiv von Steuergeldern lebt: Die frühere Hauptzielgruppe, Bauern, ist heute dezimiert, bei Teichwirten, Binnenfischern, Imkern und Gärtnern sieht es nicht anders aus. Insgesamt hat die Landwirtschaftliche Sozialversicherung drei Spitzenverbände, die sich jeweils um Krankenversicherung, Rente und Unfallschutz kümmern. Alle Institutionen verfügen über jeweils neun selbständige regionale Unterorganisationen und eigene Geschäftsführer, Pressestellen, Personalräte und Dienstsitze. Die Verwaltungsaufgaben der drei Spitzenverbände werden von der Abteilung für "gemeinsame Aufgabenerledigung der Verbände der LSV-Träger" ausgeführt. Als einziger Berufstand verfügt der Gartenbau sogar über eine Sonderorganisation mit eigener Alterskasse, Krankenversicherung und Berufsgenossenschaft für 40.000 Mitglieder. Bei der Landwirtschaftlichen Krankenkasse kommen auf einen Mitarbeiter 273 Versicherte - in der AOK sind es 420. Bei der LSV-Alterskasse ist die Ineffizienz noch krasser: Dort betreuen 1.325 Mitarbeiter weniger als 300.000 Versicherte. Das sind 226 Versicherten pro Angestellten. Zum Vergleich: Die Deutsche Rentenversicherung verwaltet pro Mitarbeiter 1.142 Versicherte, als das Fünffache.
70 Prozent des Agrarhaushalts fließen ins bäuerliche Sozialsystem
Kein Wunder, dass bei diesem Missverhältnis die Zahlen der Sozialversicherung völlig aus dem Ruder laufen. Nur durch massive Subventionierung mit Steuergeldern kann das System aufrecht erhalten werden: Von den 5,2 Milliarden Euro im Agrarhaushalt des Bundes gehen 2,4 Milliarden Euro an die Rentenkasse, 1,1 Milliarden Euro an die Krankenversicherung und weitere 200 Millionen Euro an die Berufsgenossenschaften. Das sind 71 Prozent des gesamten Budgets - und bietet einen Vorgeschmack auf die Auswirkungen des geplanten staatlichen Gesundheitsfonds. Diese insgesamt 3,7 Milliarden Euro Subventionen machen wiederum 60 Prozent des Budgets der Landwirtschaftlichen Sozialversicherung aus. Die massive Unterstützung mit Steuergeldern begründet das Landwirtschaftsministerium mit der Sozialstruktur der Mitglieder: "Es gibt viel mehr Rentner als Einzahler, weil die Berufe heute seltener ausgeübt werden, die zahlreichen früheren Landwirte aber jetzt Rente beziehen. Das kann sich nicht von allein tragen", erklärt Ursula Huber vom Bundeslandwirtschaftsministerium. Nach ihrer Aussage werde man nichts Grundsätzliches an dem System ändern. Dass eine deutsche Berufsgruppe in ein Zwangssystem einzahlen muss, und alle anderen nicht, werde nicht als Problem angesehen. Genauso wenig problembewusst gibt man sich auch im Bundeswirtschaftsministerium - ein Ort, an dem man vermuten könnte, dass man sich um unternehmerische Freiheiten und geringe Belastungen für die Wirtschaft kümmern würde.
Doch Fehlanzeige: Die Pressesprecherin Michael Glos sieht trotz mehrfacher Nachfrage keine Zuständigkeit für das Thema. Die Politik, Unionspolitiker eingeschlossen, tut offensichtlich nichts, um das Minenfeld "Landwirtschaftliche Sozialversicherung" mit seinen negativen Konsequenzen für Selbständige und Steuerzahler zu entschärfen.